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Gekroent

Gekroent

Titel: Gekroent
Autoren: P. C. Cast
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richtigen Worte von dir zu hören.“
    Rhiannon schaute in die Augen des Schamanen. Wenn es nur die winzigste Möglichkeit gab, dass er recht hatte, würde sie es versuchen.
    Sie würde Epona anrufen. Der Tod war so nah – vielleicht hatte ihre Göttin Mitleid mit ihr. Sie konnte bereits den nebligen Schleier fühlen, der ihren Körper umhüllte und sie dieser Welt gegenüber taub machte. Sicherlich wusste Epona selbst von Partholon aus, was ihr widerfahren war. Rhiannon schloss die Augen und sammelte sich.
    „Epona, Große Göttin von Partholon – Göttin meiner Jugend – Göttin meines Herzens. Bitte höre mich ein letztes Mal an. Vergib mir meine selbstsüchtigen Fehler. Vergib mir, dass ich der Finsternis erlaubt habe, dein Licht zu beschmutzen. Vergib mir für den Schmerz, den ich dir und anderen verursacht habe.“ Rhiannon hielt inne, kämpfte darum, sich zu konzentrieren und die Taubheit abzuschütteln, die durch ihren Körper strich. „Ich weiß, ich verdiene keinen Gefallen von dir, aber ich bitte dich, gebiete Pryderi Einhalt, damit er nicht weiter meine Seele und die meiner Tochter für sich in Anspruch nimmt.“
    Der Wind nahm ihre Worte auf und schüttelte sie durch, bis sie klangen wie Regen, der auf Herbstlaub fällt. Rhiannon öffnete die Augen. Die Schatten unter der riesigen, heiligen Eiche, dem Zwilling des zerstörten Baumes, unter dem sie lag, bewegten sich, und ihr Herzschlag flackerte angstvoll auf. War Pryderi trotz der Gegenwart des Schamanen und der Macht der uralten Trommeln zurückgekehrt, um sie sich zu holen? Dann brach eine Kugel aus Licht in diese Welt und verdrängte die Dunkelheit. Aus der Mitte des Lichts materialisierte sich eine Gestalt. Rhiannon hielt den Atem an, und Tränen stiegen ihr in die Augen. Der alte Schamane neigte respektvoll sein Haupt.
    „Willkommen, Große Göttin“, sagte er.
    Epona lächelte den alten Mann an. John Peace Eagle, wisse, dass dir für deine Taten an diesem Tag meine Dankbarkeit und mein Segen gewiss sind.
    „Danke, Göttin“, sagte er feierlich.
    Epona ließ ihren Blick zu ihr gleiten. Mit zitternder Hand wischte Rhiannon sich die Tränen aus den Augen, damit sie die Göttin klarer sehen konnte. In ihrer Kindheit war Epona ihr ein paarmal erschienen, aber nachdem ihre rebellische Teenagerzeit begonnen hatte und sie sich zu einer egoistischen, verwöhnten Erwachsenen entwickelte, hatte die Göttin aufgehört, sie zu besuchen, aufgehört, zu ihr zu sprechen, und irgendwann auch aufgehört, sie anzuhören. Nun spürte Rhiannon, wie ihre Seele sich beim Anblick der Göttin belebte.
    „Vergib mir, Epona!“ Sie weinte.
    Ich vergebe dir, Rhiannon. Ich habe dir schon vergeben, bevor du mich darum gebeten hast. Ich habe ebenfalls Fehler gemacht. Ich habe deine Schwäche gesehen und wusste, dass deine Seele von der Dunkelheit umworben wird. Meine Liebe für dich hat mich blind gemacht und dich in die Selbstzerstörung getrieben.
    Rhiannon schluckte die Ausreden hinunter, die ihr sonst immer so schnell über die Lippen gekommen waren. „Ich habe mich geirrt“, war alles, was sie sagte. Dann atmete sie tief ein, kämpfte gegen die Taubheit an, die sie am Sprechen hindern wollte. „Epona, ich bitte dich, die Fesseln zu brechen, in die Pryderi mich gelegt hat. Ich habe ihm abgeschworen, aber wie du weißt, bin ich dem Tode nahe. Seine Macht über meine Seele ist stark.“
    Epona musterte ihre gefallene Priesterin sorgfältig, bevor sie ihre nächste Frage stellte.
    Warum bittest du mich darum, Rhiannon? Ist es, weil du Angst hast vor dem, was nach deinem Tod mit deiner Seele passiert?
    „Göttin, so kurz vor dem Tod sehe ich einiges in meinem Leben klarer.“ Sie schaute ihre Tochter an, die sie immer noch in ihren schwächer werdenden Armen hielt. „Oder vielleicht ist es auch die Existenz meiner Tochter, die den Schleier vor meinen Augen gelüftet hat.“ Sie hob den Blick und sah ihre Göttin an. „Die Wahrheit ist, ja, ich habe Angst, die Ewigkeit in Dunkelheit und Verzweiflung zu verbringen, aber ich hätte dich nicht gerufen, um mich vor einem Schicksal zu bewahren, das ich verdient habe.“ Rhiannon verschluckte sich, hustete und nahm mehrere keuchende Atemzüge, bevor sie weitersprechen konnte. „Ich habe dich gerufen, weil ich den Gedanken nicht ertrage, dass meine Tochter von der gleichen Finsternis vereinnahmt wird, die mein Leben vergiftet hat. Wenn du den Bann brichst, den Pryderi über meine Seele gelegt hat, bitte ich dich nicht
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