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Geisterstadt

Geisterstadt

Titel: Geisterstadt
Autoren: Stacia Kane
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dazu. Sie hätte nie gedacht, dass man jemandem so hartnäckig aus dem Weg gehen konnte. Es war, als könnte er es spüren, wenn sie sich näherte.
    In der Menge entstand Bewegung, und sie richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Ereignisse im Saal. Die eigentliche Hinrichtung stand jetzt unmittelbar bevor.
    Der Raum vibrierte inzwischen vor magischer Macht, die wie ein gewaltiger Herzschlag alles um sie herum zum Dröhnen brachte - langsam, satt und gleichmäßig. Ein Kreis war nicht nötig; der Raum selbst war ja kreisförmig und glich mit dem Eisenmantel in den Betonwänden einer magischen Festung.
    Der Älteste Griffin begann die Trommel zu schlagen und ließ dabei zwischen den einzelnen Schlägen die Hand gerade so lange in der Luft schweben, dass Chess sich beim atemlosen Warten ertappte. Sie konnte sich kaum rühren oder Luft holen, bis das nächste tiefe Dröhnen erklang. Die Magie des Saals strömte in sie, füllte die Leere in ihr und machte sie zu einem mächtigeren Wesen. Es fühlte sich gut an. So gut, dass sie am liebsten die Augen geschlossen und sich der Empfindung ganz hingegeben hätte, um alles und jeden zu vergessen und nur noch in dieser Energie zu existieren.
    Das konnte sie natürlich nicht. Sie wusste, dass sie es nicht konnte. Also sah sie stattdessen zu, wie der Psychopomp des
    Henkers Gestalt annahm. Der Hund wuchs aus dem Schädel wie ein Fluss, der von einem Berggipfel strömt, und bildete nach und nach Beine, einen Schwanz und glänzendes schwarzes Feil aus, das die eben noch nackte Haut über den Knochen bedeckte.
    Der Trommelschlag beschleunigte sich. Trommeln ... auch bei Lupitas Seance in jener Nacht hatte es Trommeln gegeben, die von einem völlig mit Speed zugeknallten Duo gespielt worden waren, mit Augen so groß wie Kugellager. Und jetzt wurden wieder Trommeln geschlagen und begleiteten die Worte des Ältesten Griffin mit einem monotonen, schleppenden Rhythmus.
    »Irene Lowe, Sie wurden von einem Tribunal aus Kirchenältesten für schuldig befunden und zum Tode verurteilt. Dieses Urteil soll nun vollstreckt werden. Wenn Sie noch irgendwelche letzten Worte zu verkünden haben, haben Sie jetzt Gelegenheit dazu.«
    Lupita starrte auf den Boden und schüttelte den Kopf. Chess streckte die eigenen magischen Fühler aus und versuchte, dieser Frau ein bisschen auf den Zahn zu fühlen. Spürte sie Furcht, Wut, irgendetwas? Lupita war zu still. Zu gelassen. Irgendwas stimmte hier nicht.
    Der Henker half Lupita auf die Knie und drückte ihren Hals in die Lünette. Der Trommelwirbel wurde lauter und schneller, lauter selbst als Chess’ Herzschlag oder das Ein-und Ausströmen der magiegesättigten Luft in ihren Lungen. Lauter als ihre Gedanken.
    Sie verstärkte ihre magische Berührung, tastete Lupitas Haut mit ihrer Energie ab, auf der Suche nach irgendetwas
    Oh Scheiße!
    Ihr Bein knickte ein, als sie aufsprang, sodass sie fast gestürzt wäre. »Nein! Nein, nicht...«
    Zu spät. Die Klinge sauste herab und zerschnitt mit einem metallischen Schnick die Luft genauso säuberlich wie Irenes Hals, bevor sie so dumpf wie eine Kerkertür in den Block krachte.
    Irenes Kopf purzelte in den Korb. Blut spritzte aus dem Halsstumpf, lief über den Kopf und über den stumpfen Betonboden.
    Ihr Geist erhob sich - ihr eigener Geist, der einst Madame Lupita gewesen war. Der Hund stürzte sich auf ihn und machte sich daran, die Erscheinung unter die Erde ins Gefängnis vor den Toren der Stadt der Ewigkeit zu zerren.
    Doch auch der andere Geist erhob sich. Der Geist, den Lupita in ihrem Inneren beherbergt hatte. Und für ihn stand kein Psychopomp bereit, und es gab keine Friedhofserde, um ihn zu bändigen. Ein ganzer Saal voller Kirchenangestellter konnte gegen ihn in einem mit Eisen versiegelten Raum hinter verschlossenen Türen nichts ausrichten.
    Chess’ Schrei brach sich endlich Bahn und gellte durch die Luft. Die anderen übertönten ihn gleich darauf mit eigenen Überraschungs-und Angstschreien.
    Der Älteste Griffin ließ die Trommel fallen. Der Hund schnappte sich Lupitas Geist - auf ihrem Arm befand sich eine Kennzeichnung, an der er sie als Zielobjekt erkannte - und sprang in das Feld aus wabernder Luft hinter der Mauer. Das Letzte, was Chess von Lupita noch sah, war ihr Mund, der sich zu einem schrecklichen Grinsen verzerrte, als sie sie alle dem sicheren Tod überließ.
    Der Geist schwebte vor der Guillotine in der Luft. Es war ein Mann; das Haar trug er von der Stirn nach hinten gekämmt,
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