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Geisterstadt

Geisterstadt

Titel: Geisterstadt
Autoren: Stacia Kane
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der des Henkers und der des Ältesten Murrays.
    »Keine Kennzeichnung«, stieß sie hervor, und Danas Augen weiteten sich vor Schreck. Sie sah auf das Messer in ihrer Hand, hob die Augenbrauen, und Chess nickte, weil ihr keine andere Wahl blieb.
    Dana warf ihr das Messer zu. Der Geist wirbelte herum, als es über den Boden schlitterte, und stürzte sich darauf. Dana und der Älteste Griffin setzten sich in Bewegung, Chess konnte nicht erkennen, wohin. Sie war zu sehr damit beschäftigt, den Geist zu beobachten. Als er die feste Hand über ihren Kopf reckte, griff sie mit der Linken nach seinem Handgelenk und riss mit der Hechten den Marker hoch.
    Er hatte keine Kennzeichnung - sie hatten ihn nicht erwartet und deshalb auch keine entworfen. Drauf geschissen! Die Klinge schwebte vor ihren Augen, und an der Spitze klebte geronnenes Blut. Sie kritzelte eine Reihe zittriger Xe auf die durchscheinende Haut. Das Gesicht des Geistes verzerrte sich vor Wut.
    Jetzt kam der schlimmste Teil. Mit dem letzten bisschen Kraft, das ihr noch geblieben war, schob sie sich seitlich auf den Schädel zu, ließ den Marker fallen und rammte die Handfläche gegen die Dolchspitze.
    Sie hatte nicht erwartet, dass es auf der Stelle wehtun würde, aber das tat es. Und zwar unglaublich weh, au, verdammt! Das Blut tropfte aus der Wunde auf den Schädel, und sie nahm diesen Schmerz und ließ ihn zusammen mit all ihrer magischen Macht in die folgenden Worte fließen.
    »Ich biete den Todesboten eine Entschädigung für ihre Hilfe an. Todesboten, herbei! Tragt diesen Mann fort an seinen Ruheplatz, ich befehle es euch bei meiner Macht und meinem Blut!«
    Brüllend erschien der Hund, gewaltig, struppig, die Zähne gebleckt. Das war kein gewöhnlicher Hund, es war ein Wolf. Was hatte der Henker verdammt noch mal mit einem nicht genehmigten Psychopomp zu schaffen ...
    Der Geist riss die Augen auf. Ans Töten verschwendete er jetzt keinen Gedanken mehr; er öffnete den Mund zu einem stummen Schrei und versuchte beiseitezuspringen. Der Hund - der Wolf - setzte ihm nach wie der Wind, den Körper dicht am Boden, jeder Zoll ein Raubtier.
    Die Geister des Henkers und des Ältesten Murray hatten inzwischen Gestalt angenommen und drängten sich in eine Ecke. Chess erkannte, wie ihnen trotz aller verzweifelten Versuche, daran festzuhalten, die letzten Überbleibsel geistiger Gesundheit, die letzten Spuren ihrer einstigen Persönlichkeit entglitten,
    Es spielte keine Rolle mehr. Der Wolf heulte. Ein Loch öffnete sich kreischend in dem dünnen Schleier zwischen ihrer Welt und der Stadt der Toten. Der Wolf schloss die gewaltigen Kiefer um den ersten Geist. Ektoplasma quoll unter den Zähnen des Wolfs aus der durchscheinenden Gestalt. Der Geist schrie, und dass er dabei stumm blieb, machte es irgendwie noch grauenhafter.
    Der Wolf wandte sich dem Ältesten Murray und dem Henker zu. Die beiden klammerten sich aneinander, während sie mit letzter Kraft an ihrer Menschlichkeit festhielten. Chess schossen die Tränen in die Augen. Sie hatte den Ältesten Murray nie gut gekannt, nie viel mit ihm zu tun gehabt, aber angesichts dieses letzten heldenhaften Kampfes wurde sie von Traurigkeit und Mitleid beinahe überwältigt.
    Dana und der Älteste Griffin traten an ihre Seite. Dana drückte ihr die Hand. Der Wolf sprang, den ungebetenen Gast immer noch im Rachen, und umschloss den Ältesten Griffin und den Henker mit einer bizarren, ungestümen Umarmung. Dann trug er sie durch das wabernde Loch, das sich hinter ihnen schloss. Die drei Überlebenden starrten mit offenem Mund auf die Stelle, wo er verschwunden war.

2
    Die heiligsten Schwüre sind diejenigen, die der Kirche geleistet und deren Einhaltung von ihr überwacht wird, denn bei diesen geht es nicht nur um Kopf und Herz, sondern um die Seele selbst.
    Das Buch der Wahrheit, »Gesetze«, Artikel 331
    »Ich verstehe nicht, wie das passieren konnte«, wiederholte der Älteste Griffin. Sie waren in sein Büro zurückgekehrt, jenen freundlichen, einladenden Raum voller Schädel und Bücher. Ausnahmsweise war der an die Wand montierte Fernseher abgeschaltet; für gewöhnlich ließ der Älteste ihn immer laufen, damit  er etwas Gesellschaft hatte.
    Aber anscheinend hatte er im Moment kein gesteigertes Bedürfnis nach Gesellschaft; ebenso wenig wie Chess, was bei ihr allerdings ein Dauerzustand war. Wozu war Gesellschaft denn auch gut? Man ließ Leute in sein Leben, nur um dann am Ende verletzt zu werden. Oder sie zu
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