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Geisterschiff Vallona

Titel: Geisterschiff Vallona
Autoren: dtv
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gegen den Zaun. Auch seinen Geruch hatte Karl schon aus einiger Entfernung
     bemerkt, denn heute duftete sein Fell nicht nach Sommer und Sonne. Es roch stechend nach Angst.
    Großvater hob den Blick zum Himmel, wo ein Schwarm Seevögel landeinwärts flog. Bekümmert schüttelte er den Kopf und seufzte.
    »Die Tiere spüren, dass sich etwas zusammenbraut«, sagte er. »Wenn die Hechte könnten, würden sie sich auch an Land retten.«
    »Dann könnte man sie im Garten mit dem Kescher fangen«, erwiderte Karl.
    Großvater lachte.
    »Ja, mit Pilzkorb und Kescher könnte man eine ganze Mahlzeit auf einmal zusammenbekommen.«
    Vom Hafen aus liefen sie die Kaptensgränd hoch und schauten noch kurz beim Tabakladen vorbei, weil Karl den herrlichen Duft
     von Tabak und frisch gedruckten Zeitungen so mochte. Wenigstens das war genau wie immer und die Sonne strahlte in der klaren
     Herbstluft. Eigentlich war doch alles gar nicht so übel.
    Mittlerweile schien auch Großvater die Sache mit den Seevögeln wieder vergessen zu haben. Er pfiff fröhlich vor sich hin,
     während er entschlossen den Långbacken hinaufstiefelte.
    Ganz oben auf dem Hügel stand das Haus der Schwarzen Sara. Klein und geduckt versteckte es sich im hintersten Winkel eines
     eingezäunten Gärtchens, auf dem Grundstück des Bürgermeisterhofes.
    Einst hatte dort der Gutsverwalter gewohnt. Und einst war das Häuschen sicher auch weißgewesen, aber nun sah es grau und heruntergekommen aus. Die Fenster waren sorgfältig mit dicken, weißen Vorhangbahnen verhängt.
     Und selbst für einen Herbsttag wie diesen wirkte der kleine Garten seltsam kahl und düster.
    Die Wiese im Garten des Bürgermeisters war noch immer grün, aber dort, wo das Gras den Gartenzaun der Schwarzen Sara erreichte,
     war es, als würde es alle Kraft verlieren und sich in leblose Halme verwandeln. Auch der Busch neben der Tür war kahl und
     dürr und sogar der Wacholder unter dem Vordach des Nebengebäudes trug kaum noch Nadeln.
    Karl schauderte beim Anblick des Gartens. Und des Hauses. Der ganze Ort hatte etwas Verlottertes an sich. Etwas Verlottertes
     und zugleich Trauriges.
    Karl hatte die Schwarze Sara noch nie zu Gesicht bekommen, obwohl er schon sein ganzes Leben lang Geschichten über sie gehört
     hatte. Sie bliebe meist im Haus, hieß es, nur manchmal, da streife sie im Städtchen umher, ganz in Schwarz, mit altmodischen
     Kleidern und einem großen Hut, der ihr Gesicht verbarg. Karl glaubte, einmal gesehen zu haben, wie ihr Hut um eine Ecke verschwand,
     aber ob es sich dabei wirklich um die Schwarze Sara gehandelt hatte, wusste ernicht. Manchmal fragte er sich, ob es sie in Wirklichkeit überhaupt gab.
    Viele Jahre lang hatte er sich geweigert, bei Großvater und Großmutter die Toilette im unteren Stock zu benutzen, denn dort
     gab es ein Fenster mit Milchglasscheiben, und wenn der Wind in der Ulme neben der Treppe spielte, dann sah es aus, als schwebte
     draußen jemand mit einem großen, schwarzen Hut vorbei.
    »Erzähl mir eine Geschichte von der Schwarzen Sara«, bat Karl mit einem erwartungsvollen Schaudern. »Erzähl die von den Klippen.«
    »Du weißt doch, dass die Geschichte nicht wahr ist«, sagte Großvater.
    »Erzähl sie trotzdem. Bitte   …«
    Und so erzählte der Großvater.

Kommt, alle meine Küken
    »Du weißt doch bestimmt, dass viele Eltern ihren Kindern früher vom Nöck oder anderen Wassergeistern erzählt haben, damit
     die Kinder Angst bekamen und sich nicht mehr in die Nähe des Wassers trauten. So wollten die Erwachsenen sie vor dem Ertrinken
     bewahren. Ich glaube, genau so verhielt es sich auch mit der Schwarzen Sara. Man jagte den Kindern Angst ein, damit sie sich
     vor den Klippen auf Norrskaten in Acht nahmen. ›Geh nicht zu nah an den Abgrund‹, sagte man, ›sonst kommt die Schwarze Sara
     und stößt dich hinunter.‹
    Man erzählte sich, dass sie nachts dort oben wartete, besonders dann, wenn es dunkel und neblig war. Dann war es lebensgefährlich,
     zu nah an die Klippen zu gehen, denn zu dieser Zeit gab es noch kein Geländer dort oben und ein falscher Schritt war schnell
     getan. Unten in der Tiefe ragten die Felsen wie Eiskristalle aus dem Wasser, zackig und scharf wie Messer.
    Gerüchte behaupteten, dass ein Mann einst abgestürzt und dort zu Tode gekommen sei. Die Schwarze Sara habe ihn gestoßen. Nur
     ob es stimmte, das wusste niemand.
    Aber wie dem auch sei, das alles liegt schon viele, viele Jahre zurück. Vielleicht passierte
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