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Geisterschiff Vallona

Titel: Geisterschiff Vallona
Autoren: dtv
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gekommen
     und hatte sein Silber verlangt. Kein Nebel und kein Grauer hatten ihn ins Verderben gelockt.
    Er hob die Decke hoch und wollte aufstehen, aber der Anblick, der ihn erwartete, ließ ihm den Atem stocken. Seine Seite des
     Bettes war durch und durch mit Schlamm und Morast getränkt. Sein Nachthemd troff von braunem Wasser. Von draußen hörte er
     die Leuchttürme durch den frühen Morgen tuten. Der Graue war auf dem Weg.Und in diesem Augenblick wusste er, dass es mehr als ein Albtraum gewesen war. Und er wusste, was er zu tun hatte.
    An diesem Morgen ging der Kirchendiener auf dem Weg zur Kirche an der Stelle vorbei, an der der Fremde versunken war. Bei
     sich trug er das Kirchensilber, eingewickelt in ein Stück Stoff.
    Er ließ seinen Blick über das Moor schweifen, dorthin, wo die Nebelbänke zwischen den heimtückischen Grasballen lauerten.
    Dann ließ er das Bündel mit dem Kirchensilber neben dem nassen, unsichtbaren Grab des Fremden versinken.
    ›Hier hast du dein Silber‹, murmelte er schnell. ›Es tut mir leid, dass ich dir nicht geholfen habe.‹
    Der Albtraum war eine Warnung gewesen, aber der Fremde hatte ihm eine zweite Chance gegeben. Wenige Sekunden später war das
     Bündel verschwunden. Der Kirchendiener legte einen Zweig auf die nasse Erde. Als Zeichen dafür, dass er diesen Ort und das,
     was dort geschehen war, niemals vergessen würde.
    Da hob sich der Nebel und die Leuchttürme verstummten. Erst Tyska Grund, dann Stavskär, Måsudde und Drakbankar. Als letzter
     von allen schwieg der Leuchtturm an der Hafeneinfahrt von Krabbsjögrund.«

Kapitel 2

    Eine ganze Weile saßen sie schweigend nebeneinander, während sie langsam nach Krabbsjögrund hineinfuhren. Karl dachte an den
     unschuldigen Fremden, an das Geheimnis des Kirchendieners und an den Nebel.
    »Tuten die Leuchttürme heute auch noch?«, fragte er.
    Mama schüttelte den Kopf.
    »Nein, die Sirenen sind schon vor vielen Jahren abgeschaltet worden. Mittlerweile verfügen ja alle Schiffe über GPS und Radar
     und was weiß ich nicht alles. Heute ist es ja schon eine Seltenheit, wenn die Leuchttürme überhaupt nur leuchten. Aber als
     ich klein war, da tuteten sie noch. An den Herbstabenden fand ich es immer besonders gemütlich, zu Hause zu bleiben, mich
     ins Bett zu kuscheln, die Decke bis zum Kinn zu ziehen und ihnen zuzuhören.«
    Karl musste immerzu an den armen Mann im Moor zu denken.
    »Ist das Moor denn wirklich so gefährlich?«, fragte er. »Ich meine, wir konnten ja auch einfach so zum Reisighaufen laufen.«
    Mama lachte.
    »So richtig gefährlich wie in Großvaters Geschichten ist es ganz bestimmt nie gewesen. Und inzwischen ist der größte Teil
     entwässert und trockengelegt worden, nur oben am Cholerafriedhof nicht. Bei Nebel würde ich allerdings trotzdem nicht dort
     draußen sein wollen, so viel ist sicher.«
     
    Die Eisdiele an der Ecke unten im Hafen war verrammelt und geschlossen, die rosa Fensterläden sorgfältig mit dicken eisernen
     Riegeln gesichert. Der Marktplatz, auf dem die drei Stände mit Gemüse, Blumen und Fisch den Sommer über um Aufmerksamkeit
     wetteiferten, lag verlassen vor ihnen. Eine vergilbte Zeitung flatterte über das Kopfsteinpflaster, aber das war auch schon
     alles.
    Krabbsjögrund war mit einem Mal eine ganz andere Stadt.
    Karl schaute hinaus aufs Wasser. Ein Stück weiter draußen konnte er die Schäre mit demLeuchtturm erkennen. Von dem felsigen Meeresgrund, der über die Jahre so vielen Schiffen den Untergang gebracht und der Stadt
     einst ihren Namen gegeben hatte, war inzwischen nicht mehr viel übrig geblieben. Die meisten Riffe waren weggesprengt und
     die Fahrrinne frei geräumt worden. Übrig geblieben war allein die kleine, schroffe Insel, nicht mehr als ein paar Meter lang
     und vielleicht fünf Meter breit.
    Wenigstens die Alten, die auf der Bank ganz unten am Pier saßen, sahen aus wie immer. Den lieben langen Tag saßen sie dort
     und unterhielten sich. Manchmal setzte sich auch Großvater eine Weile zu ihnen, aber er hatte immer noch irgendetwas zu erledigen.
     Entweder gab es etwas am Boot zu reparieren oder er musste in der Kirche Orgel spielen. Großvater hatte immer gut zu tun.
     Das hatten die Alten nie.
    Karl fragte sich wirklich, ob sie irgendwo wohnten oder nachts ganz einfach zur Seite kippten und auf der Bank schliefen.
    Mama parkte das Auto auf dem Marktplatz. Karl stieg aus und streckte seine Beine. Auf der Fahrt war seine Hose nach oben gerutscht
    
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