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Geisterflut

Geisterflut

Titel: Geisterflut
Autoren: Stacia Kane
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Flugzeugen zu stören. Chess hatte zwar noch nie so etwas gesehen, aber das mit der Decke war eine alte Angewohnheit von ihr.
    Die Leute guckten nie nach oben. Sie guckten auf den Boden, guckten nach links und rechts, doch so gut wie nie fiel ihnen ein, mal den Kopf in den Nacken zu legen, um zu sehen, was sich über ihnen befand. Diese kleine menschliche Eigenart eröffnete ein immenses Fehlerpotenzial, und daher guckte Chess dort stets als Erstes nach, damit sie diesen Punkt dann abhaken konnte.
    Dort oben fiel ihr jedoch nichts Ungewöhnliches auf, und so senkte sie den Lichtkegel wieder zum Boden. Hier unten bei dem ganzen Schutt war die Suche schon schwieriger. Sie könnte einen Besen gebrauchen, bezweifelte aber, dass Terrible einen dabei hatte. Sie ging zur nächsten Wand und schlurfte mit kleinen Schritten daran entlang. »Schau mal, ob du irgendwas Schweres, Massives entdeckst«, sagte sie.
    Sie gaben bestimmt ein lächerliches Bild ab, wie sie beide gebückt an den Wänden entlangschlurften: die tätowierte Hexe im Tank Top und ihr hünenhafter Begleiter im Bowlinghemd, dem die schwarzen Schmalzlocken in die Augen hingen. Aber das war ihr egal. Und es war ja sowieso keiner da, der sie hätte sehen können.
    Bis auf das, was da draußen rumschlich. Chess hatte es kurz durch eine Wandlücke gesehen, eine dunkle, geduckte Gestalt.
    »Was siehst du?«, grollte Terribles Stimme durch die Halle.
    Chess signalisierte ihm, still zu sein. Er verstand den Wink und blieb reglos stehen. Nun warteten sie beide.
    Chess sah den dunklen Schatten erneut. Er befand sich hinter der Wand, genau neben der Lücke, wo Terrible gerade stand. Sie zeigte darauf.
    Dass Terrible schnell war, wusste sie. Doch wie schnell er tatsächlich war, sah sie erst, als er blitzartig durch die Lücke griff und die Erscheinung beim Genick packte. Er zerrte sie zwischen den Brettern der Hallenwand hindurch, die nachgaben wie feuchter Toast, und die Erscheinung kreischte dabei gar nicht geisterhaft.
    »Nich wehtun! Nich wehtun! Ich bin nich von hier! Ich schwöre! Ich weiß nichts!«
    Terrible sagte nichts, ließ aber auch nicht los. Der Lichtschein der Taschenlampe fuhr an der Gestalt hinauf und hinab. Es war ein Junge, fast noch ein Kind, in zerlumpter Hose und fleckigem Poncho. Die Kapuze war ihm vom Kopf gerutscht, als Terrible ihn hereingezerrt hatte.
    »Was hast du hier zu suchen?«
    »Ich bin hier nur so vorbeigekommen -«
    »Hier kommt man nicht nur so vorbei. Los, spuck’s aus. Was hast du hier zu suchen?«
    Der Junge sah zu Chess hinüber, die dunklen Augen im schmutzigen Gesicht weit aufgerissen. »Lady, bitte -«
    Die Ohrfeige, die Terrible dem Jungen verpasste, knallte ganz schön laut. Chess wollte schon einschreiten, doch dann fiel es ihr wieder ein: Viele Banden spannten Kinder für die Drecksarbeit ein. Nur weil der Junge behauptete, unschuldig zu sein, musste das noch lange nicht stimmen.
    »Spuck’s aus, oder du kriegst richtig was aufs Maul.«
    Der Junge sah noch einmal zu Chess hinüber und blickte dann zu Boden. »Ich hab gehört, hier solls Geister geben. Die wollt ich mir ansehn.«
    »Wer hat dir das erzählt?«
    »Niemand.«
    Noch eine Ohrfeige. Chess sah nicht hin.
    »Schon gut, schon gut, ich sag’s Ihnen ja. Das war Hunchback, kennen Sie den? Aus der Dreiundachtzigsten. Der hat's von wem gehört, der’s von wem anders gehört hat, nämlich, wenn man nachts hierherkommt, kann man sie manchmal sehn. Die Geisterflugzeuge. Und die wollt ich mir ansehn, weiter nichts.«
    Terrible ließ sich das kurz durch den Kopf gehen. »Wie sieht dieser Hunchback denn aus?«
    »Das ist ein kleiner Typ. Mit ’nem Hinkebein. Irre Augen und Glatze. Er nennt mich Brain. Er meint, ich wär ein Schlauer.«
    »Bist du nicht, wenn du hier rumschleichst«, erwiderte Terrible, ließ den Jungen aber los. Die Abdrücke seiner Pranken verblassten nur langsam. »Das ist hier kein Kinderspielplatz.«
    »Tut mir leid. Ich wollte nur die Geister sehn, weiter nichts.«
    »Warst du schon mal hier? Hast du hier schon andere Leute gesehen?«
    »Nein, hab ich nie. Ich war hier nur mit meinem Freund Pat. Wir waren schon ’n paar Mal da, aber die Flugzeuge haben wir nie gesehn. Wollen Sie die auch sehn? Sind Sie deswegen hier?«
    »Wir sind geschäftlich hier.« Terrible blickte zu Chess hinüber. Sie hatte ihr Notizbuch gezückt und eine leere Seite aufgeschlagen. Hunchback. Wenn der Gerüchte über die Geisterflugzeuge verbreitete, könnte man sich ja mal
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