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Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist (German Edition)

Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist (German Edition)

Titel: Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist (German Edition)
Autoren: Thomas Nagel
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beantworten: erstens das Erscheinen von Werten in den unzähligen Formen, die sie bei den vielfältigen Lebewesen annehmen, die über ein Wohl verfügen können; und zweitens das Auftreten von Handlungsgründen und von solchen Wesen, die fähig sind, sie zu erkennen und nach ihnen zu handeln. Das Erste wäre mit dem erklärt, was auch immer die Existenz von Leben erklärt, einschließlich des Stellenwerts von Bewusstsein in seinen vielen Formen im tierischen Leben. Das Zweite verlangt etwas mehr. Verlangt es mehr als eine Erklärung des Auftretens von Vernunft in einem allgemeinen Sinne? Ich glaube schon, denn das, was erklärt werden muss, ist das Auftreten der Fähigkeit, Handlungsgründe zu erkennen und auf sie zu reagieren, und nicht bloß eine allgemeine kognitive Fähigkeit. Die praktische Vernunft ist eine Entwicklung des motivationalen Systems und des Willens, nicht lediglich eine Entwicklung des Systems zur Ausbildung von Überzeugungen.
    Wenn Werte an das Leben gebunden sind, wird ihr Inhalt von bestimmten Formen des Lebens abhängen, und die wichtigsten Gründe, die sie uns liefern, werden selbst in einer realistischen Konzeption von unserer eigenen Lebensform abhängen. Auf diese Weise kann eine realistische Darstellung einem der Dinge Rechnung tragen, die den Subjektivismus höchst plausibel erscheinen lassen, der Tatsache nämlich, dass das, was wir selbstverständlich wertvoll finden, überwiegend auf die biologischen Eigenheiten unserer Lebensform zugeschnitten ist. Das für den Menschen Gute und Schlechte hängt in erster Linie von unseren Antrieben, Emotionen, Fähigkeiten und zwischenmenschlichen Bindungen ab. Wenn wir mehr wie Bienen oder wie Löwen wären, würde das, was wir für gut erachten, sehr anders ausfallen, ein Punkt, den Street stark hervorhebt. [12]
    Es wäre ein Fehler, wollte man einen gemeinsamen Nenner finden, wie beispielsweise Lust und Schmerz, um die unterschiedlichen Werte, die von all den tatsächlich gegebenen Formen des Lebens – um die vorstellbaren gar nicht erst zu erwähnen – hervorgebracht werden, in einer einzigen realistischen Konzeption unterzubringen. Wert muss stattdessen pluralistisch aufgefasst werden: Der Bereich realen Werts, wenn es so etwas gibt, ist ebenso vielgestaltig und komplex wie die Vielfalt der Lebensformen oder wenigstens der bewussten Lebensformen. Gerade so wie uns diese Lebensformen aus der Binnenperspektive nur vage zugänglich sind, ist der Wert, positiver wie negativer, den sie erzeugen, unserem vollständigen Verständnis größtenteils entzogen. Es ist außerdem unklar, wie weit die von diesen Werten hervorgebrachten Gründe reichen   – was sogar für die Werte gilt, die wir bei anderen menschlichen Lebensformen als unserer eigenen erkennen. Und wer weiß, welche unvorstellbaren Lebensformen und damit verbundenen Werte anderswo im Universum existieren, die nicht durch gemeinsame Abstammung mit uns verwandt sind? Da aber der Werterealismus akteursrelativen Handlungsgründen Rechnung tragen kann, ist mit der Erkenntnis, was im Leben des einen Lebewesens objektiv wertvoll ist, nicht automatisch die Frage erledigt, welche Gründe das für die Aktionen des anderen beinhaltet.
    Unser direkter Zugang zu Werten entspringt jedoch dem menschlichen Leben, dem Leben eines ganz speziellen Organismustyps in der besonderen Kultur, die er geschaffen hat. Die menschliche Welt oder jedes einzelne menschliche Leben ist potenziell und oft auch tatsächlich der Schauplatz unglaublicher Reichtümer – Schönheit, Liebe, Freude, Wissen und die schiere Lust zu existieren und auf der Welt zu sein. Sie ist zudem potenziell und oft tatsächlich der Schauplatz schrecklichen Elends, doch auf beiden Seiten scheint der Wert, wie spezifisch er für unsere Lebensform auch sein mag, unbestreitbar real zu sein. Unsere Empfänglichkeit für viele von diesen guten Dingen und Übeln spielt eine entscheidende Rolle für unser Leben und unsere reproduktive Fitness – sexuelle Lust, physischer Schmerz, das Gefühl von Hunger und Durstund dessen Befriedigung –, aber sie sind auch an sich gut und schlecht, und wir sind in der Lage, diese Werte zu erkennen und abzuwägen. Wir erkennen sie zunächst in unserem eigenen Leben, aber dabei kann es nicht bleiben.
    Ein Realist muss, wenn er nach einer geschichtlichen Erklärung sucht, annehmen, dass die stark motivierenden Aspekte des Lebens und Bewusstseins bereits mit Wert befrachtet erscheinen, auch wenn sie ihren Platz in der
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