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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Autoren: Douwe Draaisma
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Lullins Erfahrungen nur in Bonnets Zusammenfassung in der wissenschaftlichen Literatur zu finden.
    Charles Bonnet (1720-1793). Stich nach einem Gemälde von J.Juel (1777).

    Uber das Bonnet-Syndrom ist nicht sehr viel geschrieben worden. Auch wer sein Netz so weit wie möglich auswirft, über unterschiedliche Wissenschaften, Sprachgebiete und historische Zeiträume hinweg, bringt nicht mehr als vielleicht hundert Veröffentlichungen zum Vorschein. 10 Zwischen 1760 und heute haben Philosophen, Neurologen, Psychiater, Augenärzte und Psychologen darüber geschrieben, aber es ist ein marginales Thema geblieben. Bis in die Sechzigerjahre des zwanzigsten Jahrhunderts sind Fallbeschreibungen erschienen, die keinerlei Bezug zu den bereits existierenden Veröffentlichungen hatten: Das Bonnet-Syndrom wurde mehr als einmal wiederentdeckt. Einer Zählung in einem Übersichtsartikel des Jahres 1989 zufolge wurden seit 1760 sechsundvierzig Fälle beschrieben. 11 In diesen Fallbeschreibungen findet sich eine überaus reiche Variation in den Bildern. Es kann sich um Personen handeln oder um Gesichter, aber auch um Tiere, Fahrzeuge, Gebäude oder Landschaften. Innerhalb der Personenkategorie gibt es wiederum eine große Vielfalt: Es sind Bekannte oder Fremde, Kinder, Erwachsene oder alte Menschen, manche schlendern gemächlich vorbei, andere sind aktiv, wie z. ES. ein hämmernder Schmied oder ein pflügender Bauer, sie tragen einen Arztkittel, altmodische Kostüme oder einen Morgenrock, sie sehen ganz normal aus oder weisen ein merkwürdiges Detail auf, wie etwa, dass alle eine Blume auf dem Kopf tragen, sie können in ihrer normalen Körpergröße erscheinen, aber auch in Miniatur oder im Gegenteil ins Riesenhafte vergrößert. Manchmal sehen Menschen eine Kopie ihrer selbst (>Autoskopie<). Alles, was der alte Lullin sah, haben auch andere in endloser Variation gesehen.
    Es ist sehr verführerisch, nun einen Sprung von mehr als zwei Jahrhunderten zu machen und eine Übersicht der Forschungsergebnisse der letzten zwanzig, dreißig Jahre zum Bonnet-Syndrom zu präsentieren. Aber damit würden wir uns das Vergnügen der Reise vorenthalten. Erst seit 1936 gibt es so etwas wie >das Bon-net-Syndrom<, und sogar das ist schon zu stark formuliert: Tatsächlich wurden verschiedene Versuche unternommen, ein >Bon-net-Syndrom< zu definieren, und bis zum heutigen Tag gehen die Meinungen über die Ein- und Ausschlusskriterien stark auseinander. Die Erfahrungen, die Lullin 1759 diktierte, spielten in den zwei Jahrhunderten danach in unterschiedlichen Auffassungen über den menschlichen Geist eine Rolle. Sie dienten als Projektionsschirm für Psychoanalytiker und Wahrnehmungspsychologen, für Augenärzte und Geriater. Hinter diesem einen ordentlichen Begriff >Bonnet-Syndrom< verbirgt sich eine Welt der Manöver, Verwirrungen und Konflikte, aber auch des Erstaunens und der Neugier. Erst die Reise also, dann das Ziel.
    Charles Bonnet wurde 1720 in einer ursprünglich französischen protestantischen Familie geboren, die nach der Bartholomäusnacht 1572 in die Schweiz hatte fliehen müssen. Sechs Generationen später hatte es die Familie zu ansehnlichem Wohlstand gebracht. Bonnet gehörte zum Genfer Patriziat und sein Leben war, wie er in seinen Memoires autobiographiques schrieb, »so regelmäßig wie der Lauf der Gestirne« 12 . Sein Lebenswandel brachte ihn selten weiter als bis zu seinem Sommersitz am Genfer See. Die einzige Reise seines Lebens führte Bonnet zu seinem Freund Al-brecht von Haller, ebenfalls Naturforscher, mit dem er über 900 Briefe wechselte. Haller wohnte in einem Weiler östlich des Genfer Sees, Bonnet am nördlichen Ufer. 13
    Als Siebenjähriger besuchte er die Schule, wurde jedoch wieder heruntergenommen, als er wegen seines schlechten Gehörs gehänselt wurde. Um seine weitere Ausbildung kümmerten sich Hauslehrer.
    Bonnet en promenade. Stich von G.B. Bosio (o.J.).

    Mit fünfzehn entdeckte er das Spectacle de la Nature von Abbe Pluche, ein Höhepunkt aus dem Zeitalter der frommen Naturbetrachtung. Vor allem die Beschreibung des Ameisenlöwen regte seine Fantasie an, und ab diesem Moment stand für ihn fest, dass er sein Leben der Naturgeschichte widmen würde. Er korrespondierte mit den großen Entomologen seiner Zeit, führte endlose Untersuchungen an Blattläusen durch - einmal 34 Tage am Stück um seine Hypothese der Fortpflanzung ohne Kopulation bestätigt zu sehen, experimentierte mit der Atmung von Raupen, untersuchte
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