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Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co

Titel: Geist Auf Abwegen-Parkinson, Asperger und Co
Autoren: Douwe Draaisma
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übergegangen war. Die gleiche Anteilnahme schwingt in Alzheimers Beschreibung der desolaten Verwirrung mit, in der sich Auguste D. befand, sowie in Korsakows Bericht über einen Patienten, der sich überhaupt nichts mehr einprägen konnte. Noch bis in die Fallstudien, die Hans Asperger 1944 über seine »schwierigen Kinder« publizierte, erklingt die Erfahrung des Patienten. Wenn es in den folgenden zwölf Porträts gelungen ist, aus Namen wieder Personen aus Fleisch und Blut werden zu lassen, so liegt dies mit daran, dass ihre Krankengeschichten von Menschen aus Fleisch und Blut handeln.

MIT DER DÄMMERUNG KOMMEN DIE BILDER DAS BONNET-SYNDROM
    Im Frühjahr 1759 rief der Genfer Altmagistrat Charles Lullin seinen Sekretär für ein langes Diktat zu sich. 1 Er war schon recht betagt, fast neunzig, und seine Augen ließen ihn allmählich im Stich. Am linken Auge sei er im Oktober 1753 am Star operiert worden, diktierte er; danach habe er mit einer konvexen Linse noch bis September 1756 gut sehen können, aber jetzt sei das Licht völlig entschwunden. Auch am rechten Auge sei er am Star operiert worden. Mit rechts könne er noch das ein oder andere unterscheiden, aber nicht genug zum Lesen oder Schreiben. Seither lese ihm ein Diener die Zeitung vor. Lullin war davon überzeugt, dass die seltsamen Erfahrungen, die er zu Papier bringen wollte, mit seinem Augenleiden zusammenhingen.
    Seit Februar 1758 waren merkwürdige Gegenstände in sein Sehfeld geschwebt. Es begann mit etwas, das Ähnlichkeit mit einem blauen Taschentuch hatte, dessen vier Zipfel mit einem gelben Kreis versehen waren, so groß wie ein Schlagball. Das Taschentuch bewegte sich mit seinem Blick. Ob er nun auf eine Mauer, sein Bett oder einen Wandbehang schaute - das Taschentuch schob sich davor und bedeckte die normalen Gegenstände in seinem Zimmer. Lullin war geistig vollkommen klar, er glaubte keinen Moment, dass dort wirklich ein blaues Taschentuch schwebte, und es kostete ihn auch keine Mühe, das Bild verschwinden zu lassen: Wenn er seine Augen nach rechts bewegte, sah er wieder die vertrauten Gegenstände in seinem Zimmer. Es war nicht bei einem Taschentuch geblieben. Eines Tages im August besuchten ihn zwei seiner Enkelinnen. Lullin saß in einem Sessel gegenüber dem Kamin, sein Besuch rechts von ihm. Von links waren zwei Männer eingetreten. Sie trugen prachtvolle Mäntel, rot und grau, ihre Hüte waren mit Silber abgesetzt. »Was für gut aussehende Männer ihr mitgebracht habt«, hatte er zu seinen Enkelinnen gesagt, »davon habt ihr mir ja gar nichts erzählt!« 2 Aber die beiden beteuerten, nichts zu sehen. Genau wie das Taschentuch lösten sich die beiden Männer wenig später in nichts auf. In den Wochen danach folgten noch viele imaginäre Besucher, doch dann waren es nur noch Damen, mit kunstvollen Frisuren, manche mit einer Art Zigarrenkistchen auf dem Kopf. Eines Tages betrat sein Diener nach einem Einkauf das Zimmer, gefolgt von zwei beleibten Damen, die fast bis zur Decke reichten.
    »Was sind das für Damen, die du da mitgebracht hast?«
    »Mein Herr, da ist niemand.«
    »Bist du blind geworden? Mich dünkt, sie sind doch lang und
    dick genug, um sie zu sehen!« 3
    Die Damen waren schweigend wieder hinausgegangen. Kurz darauf stand Lullin am Fenster, als er eine Kutsche ankommen sah, die beim Haus der Nachbarn hielt. Verwundert beobachtete er, wie sich die Kutsche bis zur Dachrinne ausdehnte, dreißig Fuß hoch, alles in den richtigen Relationen. Die Bilder von Personen waren ungewöhnlich detailliert. Eines Tages besuchten ihn vier etwa zwölfjährige Mädchen, eines von ihnen hielt ein ungefähr dreijähriges Kind an der Hand. Jedes einzelne von ihnen war teuer gekleidet, mit bunten Bändern, Perlenketten und Ohrringen mit birnenförmig geschliffenen Diamanten. Sie schienen miteinander zu reden, eines von ihnen drehte sich ihm anmutig zu und lachte, wobei es prachtvolle Zähne sehen ließ. Danach verschwanden sie wieder.
    Lullin war von der Variation der Bilder überrascht. Manchmal sah er einen gesprenkelten Schwarm, der sich plötzlich in eine
    Taubenschar oder einen Haufen flatternder Schmetterlinge verwandelte. Oder er sah ein Rad, wie es bei Hebekränen verwendet wurde, das in der Luft schwebte und sich drehte. Auf einem Spaziergang durch die Stadt hatte er ein gewaltiges Baugerüst bewundert. Kaum zu Hause, sah er dasselbe Gerüst in seinem Zimmer, nun aber in Miniatur, höchstens einen Fuß hoch. Was erst eine Wolke
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