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Gehetzt - Thriller

Titel: Gehetzt - Thriller
Autoren: Kim Wozencraft Baerbel Arnold Velten Arnold
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bekommen.«
    Doch sie musste noch dableiben und den Täter einem Zeichner beschreiben, der ihre Informationen in einen Computer eingab und ein Phantombild des Verdächtigen erstellte. Und danach musste sie auf den Hilfssheriff warten, der ihre schriftliche Aussage darüber aufnahm, was sie gesehen hatte. Es war der Junior-Hilfssheriff, der zusammen mit dem Sheriff als Erster am Tatort eingetroffen war. Abgesehen von Diane natürlich. Von dem Augenblick an, in dem er durch die Tür trat, verhielt er sich so, als würde er ihr nicht glauben.

KAPITEL 2
    Achtzehn Jahre, in denen Gail Rubin keinen Sonnenaufgang gesehen hatte. Auch den Mond hatte sie nicht gesehen. Früher hatte sie einmal gewusst, wie es war, in einem weichen, bequemen Bett zu liegen und die kühle Abendbrise zu spüren, die am Ende eines heißen Sommertages durchs Fenster hereinwehte und über ih ren Körper strich. Doch sie konnte sich nicht mehr daran erinnern. Ihre Erinnerungen waren unter den Jahren begraben, in denen sie Nacht für Nacht schlaflos auf ei ner dünnen, klumpigen Matratze gelegen hatte, die auf einer Stahlplatte lag. In denen sie Schlüssel des Aufsehers klirren gehört hatte, wenn er um Mitternacht den Gang entlang schritt. Dann noch ein mal um drei Uhr morgens. Und dann wieder um sechs. Wenn sie die Hand ausstreckte, berührte sie eine kalte Schlacksteinwand.
    Aber morgen. Endlich war der morgige Tag beinahe da. Morgen war ihre Anhörung, in der über ihre vorzeitige Haftentlassung auf Bewährung entschieden werden würde. Gail wollte nicht daran denken. Aber es ging ihr nicht aus dem Kopf. Das letzte Mal war sie den Ausschussmitgliedern vor vier Jahren gegenübergetreten. Normalerweise versuchten Häftlinge es alle zwei Jahre, aber Gail hatte ausgeharrt. Selbst zu dieser ersten Anhörung vor vier Jahren war sie erst gegangen, nachdem sie volle zehn Jahre abgesessen hatte. Trotzdem hatten die Ausschussmitglieder sie während der gesamten Anhörung angesehen, als wäre sie nicht ganz richtig im Kopf. Vielleicht hatten sie recht. Vielleicht hatten zehn Jahre
hinter Gittern dazu geführt, dass sie den Verstand verloren hatte, und alle wussten es, nur sie nicht. Die Jahre. Die Tage. Die Stunden. Die Minuten. Wie viele Minuten hatte sie im Gefängnis verbracht? Wie viele Sekunden? Morgen!
    Gail hörte Johnson in seiner beinahe laufschrittartigen Gehweise den Gang hinuntermarschieren; alle paar Meter legte er einen Schlurfschritt ein. Justizvollzugsbeamter Johnson, wü tend wie eine Kettensäge, trau rig wie ein buck liger Mond. Eins, zwei, drei, vier. Pünktlich wie immer hatte er exakt um Mitternacht den Überwachungsraum verlassen. Zählappell, meine Damen. In ihrem Kopf hörte sie Kinder singen: We’re all in our places with bright, shiny faces. Oh, this is the way to start a new day. Aus dem Kindergarten? Vor etwa vierzig Jahren, als die vierjährige Gail ihre gesamte Willenskraft hatte aufbieten müssen, um ihren Kopf eine ganze halbe Stunde lang auf dem kleinen Holztischchen liegen zu lassen. Schon damals hatte sie die Bestrafung gehasst, und manchmal hatte sie gespürt, wie ihre Hände unter dem Druck ihres Kopfes taub geworden waren, während sie sich bemüht hatte, die verlangte Position beizubehalten.
    Johnsons Stimme dröhnte durch die Zellengitter, während er rasch den Gang entlangmarschierte und hin und wieder mit seinem Stift gegen die Gitterstäbe einer Zellentür schlug. »Licht aus, Rubin!« Er bewegte sich schnell, war ganz bei der Sache. Die Schlösser verriegeln. Die Schlüssel an seinen Gürtel hängen. Kein Lächeln. Keine Nachsicht. Keine Chance auf Gnade, wenn er jemanden bei etwas Verbotenem erwischen sollte, und sei es auch nur der kleinste Verstoß. Wenn er einen lächeln sah, kam er zu ihm, um herauszufinden, warum derjenige gelächelt hatte, und sicherzustellen, dass er nicht mehr lächeln würde, wenn er wieder ging. Einige der Aufseher waren halbwegs freundlich, oder zumindest korrekt. Johnson war die meiste Zeit halbwegs korrekt, aber er hatte
es sich zur Aufgabe gemacht, dafür zu sorgen, dass die Häftlinge niemals vergaßen, was für ein Abschaum sie waren. Das konnte man seinen Augen ansehen.
    Gail steckte ein Lesezeichen in ihr Buch, klappte es zu, legte es auf den kleinen Tisch und erhob sich, um das Licht auszuknipsen. Sie hör te ihre Zellennachbarin, Rhonda das Wiesel, mit Wasser plätschern. Eine kleine spätabendliche Aufhübschung, heute Nacht hatte Johnson Dienst.
    »Rhonda.« Gail drückte
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