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Gehetzt - Thriller

Titel: Gehetzt - Thriller
Autoren: Kim Wozencraft Baerbel Arnold Velten Arnold
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die Schulter hängen konnte. Sie nahm sie überall mit hin, außer zur Arbeit und zum Fitnesstraining. In der Tasche befanden sich ihr Tagebuch, Aufzeichnungen über ihren Fall und Artikel, die sie an Zeitschriften geschickt hatte. Sie hatte sogar ein paar veröffentlicht, in der Nation, im Texas Monthly und einige in Prison Life. Doch in letzter Zeit hatte sie sich in dieser Hinsicht zurückgehalten. Ihre Artikel machten die Zuständigen nervös, und so kurz vor ihrer Anhörung wollte sie keine unnötigen Feindseligkeiten provozieren.
    Schließlich wurde es leiser; nur noch die Schnarcherin am Ende des Gangs war zu hören. Es war von allen Geräuschen das nervigste, um dabei einzuschlafen. Schmerzhaft, unglaublich laut. Die Ärmste. Es klang so, als ob sie fast keine Luft bekäme. Gail konzentrierte sich auf das Innere ihres Kopfes, stellte sich ein warmes, weißes Licht vor, genau im Zentrum ihres Gehirns. Entspannte sich. Spürte die Spannung aus ihrem Nacken und ihren Schultern weichen. Spürte ihr Gewicht auf das erbärmliche Lumpenstück von einer Matratze herabsinken. Morgen würde sie früh aufstehen, ein paar Dehnübungen machen und sich sorgfältig ankleiden. Essen fassen. Wieder in ihre Zelle gehen und auf ihren Termin warten.
Wenn sie gerufen wurde, würde sie gefasst sein und ernst und bereit, sich selbst wohlüberlegt und ohne jede Attitüde mitzuteilen. Sie würde die Mitglieder des Ausschusses überzeugen.
    Sie würden bedingte Haftentlassung empfehlen.
    Die Alternative wollte Gail sich gar nicht vorstellen.
    Beim Wegdämmern redete sie sich ein: Es ist Zeit. Du bist bereit. Du verdienst eine zweite Chance. Doch ein Wort ging ihr nicht aus dem Sinn: vielleicht. Vielleicht, nur vielleicht. Und tief in ihr war ein Teil von ihr, der nicht sicher war, dass sie tatsächlich eine zweite Chance zu irgendetwas verdient hatte. Vielleicht war ihr Verbrechen zu abscheulich gewesen. Was wäre gewesen, wenn sie nicht erwischt worden wären und die Waffen und der Sprengstoff zum Einsatz gekommen wären? Was wäre gewesen, wenn dadurch Menschen getötet worden wären? Vielleicht konnte sie den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen und trotzdem niemals das Gefühl haben, für die Dummheit, die sie in ihren Zwanzigern begangen hatte, ausreichend bestraft worden zu sein. Genau dieser Gedanke war es, der sie wirk lich verfolgte: Die Möglichkeit, dass das, was sie getan hatte und wofür sie im Gefängnis gelandet war, nichts weiter gewesen war als pure Dummheit. Ja, sie hatte Tom ge liebt. Ja, sie hatte geglaubt, dass sie hei raten und Kinder haben würden. Oder vielleicht auch nicht heiraten und Kinder haben würden. Aber sie hatte geglaubt, dass sie auf die eine oder andere Weise eine Familie sein würden. Gail fragte sich, ob es Verzweiflung gewesen war, das Gefühl, dass es, wenn es mit Tom nicht klappen würde, niemals mit irgendjemandem klappen würde. Nach dem Fiasko in Oklahoma, als ihr Freund, der ihr Liebe geschworen hatte, Hals über Kopf die Stadt verlassen hatte, nachdem er von ihrer Schwangerschaft erfahren hatte, war sie lange Zeit sicher gewesen, dass sie nie eine Familie haben würde. Aber Tom war
ihr Seelenverwandter gewesen, da war sie sicher gewesen. Er hatte gewusst, wie die Dinge wirklich funktionierten. Er hatte die Groteskheit des Systems erkannt, hatte durchschaut, wie es Menschen zerstörte und sie zur Lohnsklaverei verdammte. Er hatte sich geweigert, Teil der Gib-mir-gib-mir-Raffgier-Kultur der USA AG zu sein. Er hatte den Krieg ge hasst. Er hatte dazu beitragen wollen, etwas Besseres herbeizuführen. Eine bessere Welt für ihre Kinder, hatte er gesagt. Für alle Kinder. Dazu bedürfe es drastischer Maßnahmen, hatte er gesagt, aber er sei dazu bereit. Und er hatte Gail gebraucht. Hatte Gail gewollt. Hatte Gail geliebt. Seine Leidenschaft war ansteckend gewesen.
    Tom war draußen. Seit zwei Jahren.
    Sie hatte nichts von ihm gehört.
    Sie hatte sich eingeredet, dass er sich nicht mit ihr in Verbindung setzen konnte. Er war auf Bewährung draußen. Er konnte ihr nicht schreiben. Konnte keine Anrufe von ihr entgegennehmen. Jeder Kontakt zu einem Häftling oder Exsträfling würde als Verbindungsaufnahme ausgelegt und konnte einen Verstoß gegen die Bewährungsauflagen bedeuten, woraufhin seine Haftaussetzung widerrufen werden und er wieder ins Gefängnis geschickt werden konnte. Sie musste das verstehen.
    Aber sie verstand es nicht. Es gab Wege. Es gab Leute, die Nachrichten übermitteln
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