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Gehetzt - Thriller

Titel: Gehetzt - Thriller
Autoren: Kim Wozencraft Baerbel Arnold Velten Arnold
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konnten. Er konnte ihr unter einem Decknamen schreiben. Er konnte einen Freund schreiben lassen. Was auch immer. Alles wäre möglich gewesen. Sie erwartete nicht, dass er ihr wahre und ewige Liebe schwor. Nur irgendein Zeichen, das sie wissen ließ, dass er an sie dachte. Denn immerhin war er draußen und sie immer noch drinnen. Um sie wenigstens wissen zu lassen, dass das Ganze nicht nur irgendeine Art List gewesen war.
    Denn in diesem Fall, wenn sie das Verbrechen aus Liebe begangen
hätte, und nicht, weil sie es für richtig gehalten hatte, könnte sie wenigstens glauben, dass es wirklich und wahrhaftig das Richtige gewesen war.
    Gail versuchte, ihn sich vorzustellen, doch vergeblich. Sein Gesicht war verschwommen, umrahmt von lockigem schwarzen Haar. Er trug blaue Jeans und ein blaues Denimhemd. Doch sie konnte seine Gesichtszüge nicht erkennen. Konnte sich weder an sein Lächeln noch an sei ne Augen erinnern. Vielleicht erleichterte ihr das, ihm die Schuld zuzuschreiben, wenn es das war, was sie tat. Sie wusste es nicht mehr. Sie wusste nicht mehr, ob sie je wirklich an das geglaubt hatte, was sie getan hatten. Und sie wusste nicht, ob das daran lag, dass sie Gewalt verachtete, ganz egal, wie sie auch gerechtfertigt wurde, oder ob sie sich für einen Feigling hielt, weil sie nicht fähig gewesen war, zusammen mit den besten der Gruppe rauszugehen und Molotowcocktails zu werfen. Warum zerbrach sie sich da rüber überhaupt den Kopf? Wen interessierte das alles? Nur eins interessierte: dass sie morgen früh drei Mitglieder des Bewährungssausschusses überzeugen musste, es zu verdienen, rausgelassen zu werden. Sie verdiente es, frei zu sein. Warum konnte sie das nicht be greifen? Vielleicht hatte die Zeit hier drinnen ihr die Fähigkeit genommen, überhaupt an irgendetwas zu glauben. Vielleicht hatte sie durch das jahrelange Leben unter Kriminellen einen Zustand absoluter Orientierungslosigkeit erreicht und war rundherum auf wohltuende Weise weltfremd geworden und ohne jedes Lebensziel. Wenn es so war, war der morgige Tag bloß ein weiterer Tag im Paradies, und es war völlig egal, zu welchem Ergebnis die Gutachter kämen. Gail lag reglos auf ihrer Pritsche. Wenn sie sich rührte, würde sie in Millionen Staubpartikel zerfallen. Ihre Seele würde vom ätherischen in den materiellen Zustand übergehen und ebenfalls sterben.
    Mit dem Rabbi, der alle zwei Wochen in das Gefängnis kam
und Gottesdienste hielt, hatte Gail mehrmals über Schuld geredet. Er hatte ihr geraten, nicht so hart zu sich selbst zu sein. Die Gefängnisgeistliche Fuentes, für die sie im Lau fe der Jahre oft gearbeitet hatte, hatte ihr das Gleiche gesagt. »Vergib dir selber«, hatte sie gesagt. »Ich kenne dich, du bist keine Kriminelle. Du bist kein schlechter Mensch.« Gail hatte sich bemüht, es zu glauben, und manchmal hatte sie es tatsächlich geglaubt. Doch andere Male dachte sie an diese Waffen, diese kalten, harten Gewehre und die schreckenerregenden Kisten mit den bedrohlichen Etiketten, alle fein säuberlich unten im Keller gestapelt wie Kisten mit selbst gemachter Nudelsoße oder etwas in der Art. Einfach da unten auf Metallregalen, darauf wartend, dass die Polizei käme und sie fände. Und bei diesem Gedanken wurde ihr eiskalt vor Angst. Sie wusste, dass die Gefängnisgeistliche recht hatte: Sie war kein schlechter Mensch. Wie also hatte sie tun können, was sie getan hatte? Ihre Gedanken drehten sich in langsamen Kreisen, kreisten immer langsamer, bis ihre Augen schließlich zufielen und ihr Bewusstsein durch die Gitterstäbe nach draußen strömte ins Reich der Träume und der Freiheit.

KAPITEL 3
    Diane nahm das Mikro in die Hand und bestätigte der Leitzentrale, dass sie verstanden hatte. Der Frühlingsabend war viel zu heiß, und die Bewohner von Bolton ließen die Hitze aneinander aus. Es war der sechste Ruf zu einem Einsatz seit Beginn ihrer Schicht, und Feierabend war noch lange nicht in Sicht. We nigstens hatte sie kei ne Nachtschicht mehr. Seit ihrem Dienstbeginn um drei Uhr, genau in der Affenhitze eines wirklich heißen Nachmittags, war sie wegen eines bellenden Hundes gerufen worden, wegen eines gestohlenen Fahrrads, eines Ladendiebstahls, einer von Teenagern begangenen Vandalismus-Bagatelle - ein paar Kids hatten ein zweistöckiges Gebäude voll Toilettenpapier gehängt - und irgendetwas ande rem, das sie schon wieder ver gessen, aber sorg fältig in ihrem auf der Rückbank des Streifenwagens liegenden Berichtbuch
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