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Gehen (German Edition)

Gehen (German Edition)

Titel: Gehen (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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ein Augenblick, sagt Oehler, in welchem die Verrücktheit eintritt. Es ist ein einziger Augenblick, in welchem der Betroffene plötzlich verrückt ist. Wieder sagt Oehler: bei Karrer handelt es sich um eine totale, endgültige Verrücktheit. Daran, daß Karrer, wie vor acht Jahren, wieder aus Steinhof herauskommt, ist nicht zu denken. Wahrscheinlich sehen wir Karrer überhaupt nicht mehr, sagt Oehler. Alles Anzeichen dafür, sagt Oehler, daß Karrer in Steinhof bleibt und nicht mehr aus Steinhof herauskommt. Die Deprimation eines Aufsuchens Karrers in Steinhof wäre aller Wahrscheinlichkeit nach von einer solchen Heftigkeit, sagt Oehler, vor allem auf seinen Kopf und in der Folge naturgemäß auf sein Denken würde sich ein solcher Besuch auf das verheerendste auswirken, daß an einen Besuch Karrers in Steinhof nicht zu denken sei. Auch nicht, wenn wir gemeinsam Karrer besuchen, sagt Oehler. Gehe ich allein zu Karrer, bin ich für Wochen, wenn nicht für Monate, wenn nicht für immer, ruiniert, sagt Oehler. Auch wenn Sie Karrer besuchen, sagt Oehler zu mir, ruinieren Sie sich. Und gehen wir gemeinsam, hat ein solcher Besuch die gleiche Wirkung auf uns beide. Einen Menschen in dem Zustand zu besuchen, in welchem sich Karrer jetzt befinde, sei Unsinn, weil einen Menschen besuchen, der vollkommen und endgültig verrückt sei, unsinnig sei. Ganz abgesehen von der Tatsache, sagt Oehler, daß mich noch jedesmal der Besuch in Steinhof vollkommen deprimiert hat. Eine Irrenanstalt aufzusuchen, dazu gehört die größte Überwindung, sagt Oehler, wenn der Besucher nicht ein Gefühls- und ein Denkdummkopf ist. Schon die Annäherungan Steinhof verursacht mir Übelkeit, sagt Oehler, geschweige denn, gehe ich hinein. Ist die Welt außerhalb der Irrenhäuser schon eine kaum zu ertragende, sagt er. Wenn wir Hunderte und Tausende von Menschen sehen, von welchen wir beim besten Willen und unter der größten Selbstverleugnung nicht mehr sagen können, daß es sich noch um Menschen handelt, sagt er. Wenn wir sehen, daß es in den Irrenhäusern jedesmal noch viel schlimmer ist, als wir vermutet haben, bevor wir in ein Irrenhaus gegangen sind. Dann, wenn wir in Steinhof sind, sagt Oehler, erkennen wir, daß die Unerträglichkeit außerhalb der Irrenhäuser, von welcher wir immer das Leben und das Existieren und die Existenz von dem Leben und der Existenz und dem Existieren innerhalb der Irrenhäuser getrennt haben, außerhalb der Irrenhäuser tatsächlich lächerlich ist gegen die Unerträglichkeit in den Irrenhäusern. Wenn wir befähigt sind, zu vergleichen, sagt Oehler, uns mit der Billigkeit der Begriffe von Innen und Außen, also von innerhalb der Irrenhäuser und außerhalb der Irrenhäuser, mit der Billigkeit der Begriffe der sogenannten intakten zum Unterschied von den Begriffen der sogenannten nichtintakten Welt, zufriedenzugeben. Wenn wir uns sagen müssen, es handelt sich nur um die Brutalität eines Augenblicks, nach Steinhof zu kommen. Und wenn wir wissen, daß dieser Augenblick jeder Augenblick sein kann. Wenn wir wissen, daß jeder Augenblick die Grenzüberschreitung nach Steinhof sein kann. Wenn Sie vor drei Wochen zu Karrer gesagt hätten, er sei heute in Steinhof, sagt Oehler, hätte Karrer gezweifelt, wenn er auch die Möglichkeit, in jedem Augenblick wieder in Steinhof zu sein, immer in Betracht gezogen hat. Hier, an dieser Stelle, sagt Oehler und bleibt stehen, habe ich zu Karrer gesagt: Wenn es möglich ist, auch den Augenblick zu beherrschen, den noch niemals ein Mensch beherrscht hat, den Augenblick der endgültigen Grenzüberschreitung nach Steinhof und das heißt in endgültiges Verrücktsein, ohne den unfertigen Satz fertig sprechen zu können, sagt Oehler.Karrer hat damals gesagt, er verstehe den zweifellos unfertigen Satz nicht, er wisse aber, was mit diesem unfertigen Satz gemeint sei. Auch Karrer ist nicht geglückt, was noch keinem Menschen geglückt ist, sagt Oehler, das Bewußtsein des Augenblicks der Grenzüberschreitung nach Steinhof und also das Bewußtsein des Augenblicks der Grenzüberschreitung in endgültiges Verrücktsein. Wir dürfen, wenn wir etwas tun, nicht darüber nachdenken, warum wir, was wir tun, tun, sagt Oehler, denn dann wäre es uns plötzlich vollkommen unmöglich, etwas zu tun. Wir dürfen das, was wir tun, nicht zum Gegenstand unseres Denkens machen, denn dann kommen wir in tödlichen Zweifel zuerst, schließlich in tödliche Verzweiflung. Wie wir auch nicht über das nachdenken
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