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Gehen (German Edition)

Gehen (German Edition)

Titel: Gehen (German Edition)
Autoren: Thomas Bernhard
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war Karrer, sagt Oehler. Immer wieder sagt Oehler, der gleichen Ansicht war Karrer oder Karrer war ähnlicher Ansicht oder Karrer war anderer oder Karrer ist der entgegengesetzten Ansicht (oder Meinung) gewesen. Karrers Satz lautete immer wieder, sagt Oehler: Wie sich die Menschen, die nicht wissen, wie sie dazu kommen, und die in keiner sie betreffenden Frage gefragt worden sind, wie wir immer wieder feststellen müssen, und vor allem in den grundsätzlichsten Fragen nicht gefragt worden sind, wie sich alle diese Menschen, mit welchen wir uns, wenn wir denken, immer und immer wieder mit der größten Zurechnungsfähigkeit identifizieren müssen, durch ihr ganzes Leben, gleich wer sie sind und gleich was sie sind und gleich wo sie sind, mit allen verabscheuungswürdigen Mitteln, also mit den Menschenmitteln, in ihr sie mit immer beängstigenderer Geschwindigkeit sich vervollkommnendes, endgültiges Unglück hinein- und hinauf- und hinuntertraktieren. Mein ganzes Leben habe ich mich dagegen gewehrt, ein Kind zu machen, hat Karrer gesagt, sagt Oehler, zu dem Menschen, der ich bin und der in dem entsetzlichsten Kerker sitzt, den man sich vorstellen kann und den die Wissenschaft rücksichtslos als die Menschliche Natur bezeichnet, einen neuen Menschen hereinzusetzen, einen neuen Menschen zu dem Menschen in den entsetzlichsten Kerker, den es gibt, dazuzusperren, der meinen Namen zu tragen hat. Wenn man durch die Klosterneuburgerstraße geht und vor allem, wenn man mit offenen Augen durch die Klosterneuburgerstraße geht, sagt Oehler, vergeht einem das Kindermachen und alles, was mit dem Kindermachen zusammenhängt, gründlich. Dann vergeht einem alles, zitiert Oehler Karrer. Mir fällt auf, wie oft Oehler Karrer zitiert, ohne ausdrücklich darauf aufmerksam zu machen, daß er Karrer zitiert. Oft sagt Oehler mehrere von Karrer stammende Sätze und denkt sehr oft ein von Karrer gedachtes Denken, denke ich, ohne ausdrücklich zu sagen, das, was ich jetzt sage, ist vonKarrer, das, was ich jetzt denke, ist von Karrer. Im Grunde ist alles, was gesagt wird, zitiert , ist auch ein Satz von Karrer, der mir in diesem Zusammenhang einfällt und den Oehler sehr oft, wenn es ihm paßt, gebraucht. Der fortwährende Gebrauch des Begriffes Menschliche Natur und Natur und in diesem Zusammenhang entsetzlich und widerwärtig und grauenhaft und unendlich traurig und fürchterlich und abscheulich , sind auf Karrer zurückzuführen. Mit Karrer bin ich, denke ich jetzt, sagt Oehler, zwanzig Jahre lang durch die Klosterneuburgerstraße gegangen, wie Karrer, bin ich in der Klosterneuburgerstraße aufgewachsen, und beide haben wir gewußt, was das heißt, in der Klosterneuburgerstraße aufgewachsen zu sein, und dieses Bewußtsein ist in jeder unserer Handlungen und in unserem ganzen Denken und vor allem immer, während wir miteinander gegangen sind, immer in uns gewesen. Karrers Aussprache war die deutlichste. Karrers Denken das korrekteste, Karrers Charakter der einwandfreieste, sagt Oehler. In letzter Zeit hatte ich aber schon Ermüdungserscheinungen seiner Person, seines Kopfes vor allem, konstatiert, sagt Oehler, einerseits, sagt Oehler, Ermüdungserscheinungen seines Kopfes, andererseits eine unglaubliche, noch nie an ihm beobachtete Aktivität seines Kopfes. Einerseits der aufeinmal rasch alt gewordene Körper Karrers, sagt Oehler, andererseits das zu unwahrscheinlicher Geistesschärfe befähigte Gehirn Karrers. Seine körperliche Hinfälligkeit aufeinmal einerseits, sagt Oehler, die plötzliche Unheimlichkeit und die plötzliche Ungeheuerlichkeit des Denkens seines Kopfes andererseits. Während Karrers Körper vor allem im letzten Jahr schon sehr oft als ein an sich selbst schon verfallener und zerfallender Körper zu beobachten gewesen sei, sagt Oehler, ist die Kapazität seines Kopfes gleichzeitig eine mich schließlich, was ihre Ungeheuerlichkeit betrifft, tatsächlich erschreckende gewesen. Zu welchen Ungeheuerlichkeiten dieser, Karrers Kopf aufeinmal befähigt ist, habe ich plötzlich denken müssen, sagt Oehler,andererseits, wie hinfällig aufeinmal dieser, Karrers Körper ist, ein an sich noch nicht alter Körper. Zweifellos, sagt Oehler, ist Karrer auf dem Höhepunkt seines Denkens verrückt geworden. Diese Beobachtung könne die Wissenschaft immer wieder an solchen Menschen wie Karrer machen, daß sie plötzlich auf dem Höhepunkt ihres Denkens und also auf dem Höhepunkt ihrer Geistesleistungsfähigkeit verrückt werden. Es ist
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