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Geheimnisse der Lebenskraft Chi

Titel: Geheimnisse der Lebenskraft Chi
Autoren: Peter Meech
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Verehrer, Tooter, seines Zeichens Schildkröte.Tooter hatte einen Strohhut und gestärkte weiße Hemdkragen. Jede Woche flehte Tooter Mr. Wizard an, ihm ein neues Leben zu verschaffen, in dem er seinem Traumberuf nachgehen würde, sei es Seemann oder fahrender Ritter oder was auch immer es noch geben mochte, zu dem er ganz sicher nicht geeignet war. Mr. Wizard verdrehte dann zwar genervt die Augen, aber er schwang doch seinen Zauberstab und versetzte die unselige Schildkröte in ihr selbst gewähltes Schicksal, worin sich Tooter dann auch prompt in eine aussichtslose Lage brachte. »Hilfe, Mr. Wizard«, jammerte er dann jedes Mal, worauf dieser mit schwerem deutschen Akzent einen Zauberspruch anstimmte:
»Drizzle, drazzle, druzzle, drome, time for sis wan to come home!« Schon erfasste ein Strudel primitiver Animationseffekte den armen Tooter und brachte ihn in Sicherheit. Tooter die Schildkröte war zwar ein junger Mann wie ich, aber ich identifizierte mich schon damals viel mehr mit dem Zauberer Mr. Wizard. Weise sein, einen Zauberstab haben, in einem hohlen Baum wohnen - das war das Leben, das mir vorschwebte. Ist Dr. Chow wohl auch so ein Mr.Wizard? In was für einem Geheimversteck mag er jetzt gerade hocken? Tooter hatte nie so lange auf Mr. Wizard warten müssen. Ich bleibe weitere zehn Minuten auf dem harten Plastiksitz, dann stehe ich auf. Drizzle, drazzle, druzzle, drome, time for sis wan to come home.
    Auf dem Weg zur Haustür steht plötzlich wie aus dem Boden gewachsen Dr. Chows Bruder da. Er bremst meinen Schritt mit einem überaus breiten Lächeln. »Tut mir leid, Dr. Chow viel zu tun«, sagt er, nimmt mir das Blatt aus der Hand, entfernt sich mit federnden Schritten einen Gang hinunter und winkt mir zu folgen. Wir erreichen einen großen Magazinraum am anderen Ende des Hauses, wo gelbes Licht durch hölzerne Läden in schrägen Streifen auf den Holzboden fällt.
    »Dr. Chow viel zu tun«, wiederholt er. »Aber Jerry antworten alle Fragen.«
    »Jerry?«
    Mit dem Kinn lenkt er meinen Blick auf einen beigefarbenen Raumteiler. Ich drehe mich wieder zu ihm um, weil ich fragen möchte, wer Jerry ist, aber der Bruder ist weg. Zögernd gehe ich auf den Raumteiler zu und luge um die Ecke. Nein, kein runzliger Weiser in voller Lotoshaltung, stattdessen ein stämmiger junger Mann in schwarzer Lederjeans ausgestreckt auf einer Untersuchungsliege. Das Hemd ist ganz aufgeknöpft,
und die Brust hinunter läuft ihm ein silberner Strom von Akupunkturnadeln. Neben ihm auf dem Stuhl liegt ein Motorradhelm mit schwarzem Visier. Eine schwarze verspiegelte Sonnenbrille umschließt sein ganzes Gesicht bis unter das dichte schwarze Haar. Als ich näher trete, rollt sein Kopf in meine Richtung, und der Mund öffnet sich.Was dann kommt, hat so gar nichts vom knurrenden Tonfall eines Hell’s Angel.
    Jerry fragt mit dünner Piepsstimme: »Weshalb sind Sie hier?« Ich erzähle von meinem geplanten Artikel über Dr. Chow, doch er unterbricht mich. »Passen Sie auf Reisen besonders gut auf.«
    »Wie soll ich das verstehen?«
    »Ich bin Hellseher, also hören Sie jetzt gut zu. Sie werden in einem Dritte-Welt-Land unterwegs sein, und ich rate Ihnen, gut aufzupassen, weil Sie da nämlich in den Knast wandern werden.« Er muss sich einem Hustenanfall überlassen, dann fährt er fort: »Und dann …«
    »Können wir vielleicht kurz auf Dr. Chow zurückkommen?«
    Der Hellseher spricht unbeirrt weiter: »Und dann wird es auch noch etliche Tage dauern, bis Sie wieder freikommen.«
    Der Medientheoretiker Marshall McLuhan hat einmal gesagt, das Fernsehen sei ein »kühles« Medium, womit er meinte, dass man sich als Zuschauer schon Mühe geben muss, um Kontakt aufzunehmen; mich dagegen führt das Fernsehen in einen großen Lagerraum mit einem Hellseher, der mir erzählt, dass ich in einem Dritte-Welt-Knast einsitzen werde.
    »Hallo, Jerry.« Ich wirbele herum, als eine tiefe Stimme diese beiden Worte spricht. Dr. Chow steht kaum mehr als einen Schritt entfernt in der Türöffnung. Er ist schlank, mittelgroß
und von sichtbarer Vitalität, als würden die Atome seines Körpers ständig kleine Energiepulse abgeben. Er trägt die gleiche Uniform wie im Fernsehen, weißer Laborkittel über weißem Hemd und Allerweltskrawatte. Ein schütterer schwarzer Schnurrbart, im Fernsehen kaum sichtbar, ziert seine Oberlippe. Das schimmernde schwarze Haar, modisch geschnitten, fällt bis auf die Hälfte der Ohren. Sein Alter ist schwer zu schätzen, ich
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