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Geheimnisse der Lebenskraft Chi

Titel: Geheimnisse der Lebenskraft Chi
Autoren: Peter Meech
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seiner süßlichen Hymne »Looks like we made it«. Dann geht mit einem Klick die Sprossentür auf, und Dr. Chow betritt das Wartezimmer. Seine Augen leuchten kurz auf, als er mich erkennt, und ich
springe auf, um ihn zu begrüßen. Er bleibt aber auf Distanz, es kommt nicht einmal zu einem Handschlag.
    »Sorry, zu viel zu tun«, sagt er mit leiser Stimme. »Anderes Mal.« Und bei der Kehrtwendung schwingt er seinen Kittel wie ein Matador seine Capa und ist weg, mit einem Klick schließt sich die Tür hinter ihm. Keine Karte, keine Telefonnummer, kein Termin. Noch ein Klick. Er hat die Tür abgeschlossen. Mitten auf dem braunen Schmutzfänger stehend, überlege ich, was nun zu tun ist. Auf einem Beistelltischchen steht ein Telefon mit Wählscheibe. Da kommt auch schon die Eingebung, und ich notiere mir die Nummer im Zentrum der Wählscheibe. Auf dem Weg nach draußen habe ich nicht meine erbärmliche gesundheitliche Verfassung im Sinn, sondern dieses Telefon. Wo haben die Asiaten in Toronto nur all diese Wählscheibenapparate her?
    Ein paar Tage später wähle ich die Nummer. Die Stimme, die sich meldet, spricht mit starkem Akzent.
    »Hallo?«
    »Ich hätte gern einen Termin bei Dr. Chow.«
    »Oh, Apparat falsch«, sagt die Stimme. »Hier nur für Patient, wenn will telefonieren von hier.«
    »Ja, ich verstehe, aber ich brauche medizinische Hilfe.«
    »Brauchen was?«
    Ich greife zum Äußersten und spreche die beiden magischen Worte: »Ich Patient.«
    »Oh, Sie Patient! Sie kommen morgen zwei Uhr. Hier spricht Dr. Chow!«
    »Und hier spricht Peter Meech.Wir kennen uns schon, wissen Sie noch?«
    »Sie jetzt Patient, dann in Ordnung.«

    Ich bin etwas früher zum Termin da, und nach ein paar Minuten kommt Dr. Chow ins Wartezimmer und winkt mir. »Sie kommen, Sie jetzt Patient.«
    Im Sprechzimmer lasse ich mich auf einen Polsterstuhl gegenüber dem Schreibtisch fallen und sehe mich um. Kupferplaketten mit eingravierten chinesischen Schriftzeichen zieren die Wände, auf dem Schreibtisch thront ein abgegriffenes chinesisch-englisches Wörterbuch, daneben eine Zeitung und ein Stapel Korrespondenz. Links von mir stehen Vitrinenschränke mit gläsernen Schröpfköpfen, Schachteln voller Akupunkturnadeln und elektronischen Gerätschaften, die ich noch nie gesehen habe. Dahinter geht es in ein privates Bad, das nur vom Sprechzimmer aus erreichbar ist.
    Ich frage den Doktor, wo er chinesische Medizin studiert habe, und er nennt die Hochschule für Traditionelle Chinesische Medizin in Shanghai. Aber einen Großteil seiner Kenntnisse, fügt er hinzu, habe er sich auf die altmodische Art angeeignet, nämlich durch Lehrzeiten bei verschiedenen Meistern. Ich fange von seiner erstaunlichen Darbietung im Fernsehen an, aber er bringt mich mit einer erhobenen Hand zum Schweigen. Dann langt er über den Schreibtisch nach meinem rechten Handgelenkt. »Puls checken«, sagt er.
    Mit Zeige-, Mittel- und Ringfinger, die er nebeneinander gleichzeitig auf die Schlagader drückt, fühlt er meinen Puls - beziehungsweise meine Pulse, wie ich dann erfahre.Wie es mir gehe, erkundigt er sich.Während ich berichte, nimmt er einen Stift zur Hand und kritzelt chinesische Schriftzeichen auf ein Blatt Papier. Dann tastet er die Pulse noch einmal und schüttelt den Kopf. »Lunge achtzehn Prozent, Milz fünfundzwanzig Prozent,Verdauung dreißig Prozent.« Anschließend entnimmt
er den Pulsen am linken Handgelenk die Restfunktionen von Herz, Leber und Nieren. Weiteres Kopfschütteln vermittelt mir den Eindruck, eher schon ein Notfall zu sein.
    »Wie lange kennen die traditionellen Ärzte diese Pulsnahme schon?«, erkundige ich mich.
    »Pulsdiagnose viele Tausend Jahre alt.«
    »Und seit wann gibt es diese Prozentmessung?«
    Nach einer kleinen Pause erklärt er bescheiden: »Methode habe ich von eigene Forschung.«
    Ich frage, was er tun würde, wenn ein Patient keine Arme für die Pulsnahme hätte.
    »Füße nehmen«, erwidert er.
    »Und wenn er auch keine Füße hat?«
    »Hals.«
    »Und wenn …«
    »Wenn keinen Hals hat, tot«, sagt er. »Braucht kein Puls mehr nehmen.« Ein kurzes Schmunzeln huscht über sein Gesicht. Dann macht er den Mund auf und streckt die Zunge weit heraus. Erst sehe ich ihn fragend an, dann mache ich es nach. Er gratuliert mir mit einem Lächeln und notiert wieder seine Befunde. Mit noch gesenktem Kopf fragt er, was ich beruflich mache. Ich sage, ich sei Schriftsteller, und er hebt den Kopf und fragt: »Will noch Artikel
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