Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Geheime Melodie

Geheime Melodie

Titel: Geheime Melodie
Autoren: John le Carré
Vom Netzwerk:
Worten bepinselt: Keine Rückführung in Folterländer , Mr . Blair ! Wenn schon Folter , dann hier ! In einem sehr wichtigen Punkt unterschied ich mich allerdings von meinen Mitdemonstranten: Während sie auf Knien um ein Bleiberecht bettelten, konnte es mir mit der Abschiebung gar nicht schnell genug gehen. Aber in der Haft ist Teamgeist alles, das mußte ich zu meinem Nachteil feststellen, als eine Abteilung namenloser Polizisten mit Motorradhelmen unsere Kundgebung mit Hilfe von Baseballschl ägern auflöste.
    Doch nichts im Leben, Noah, das nicht auch sein Gutes h ätte, das gilt sogar für gebrochene Knochen. Während ich, an meine vier Bettpfosten gefesselt, auf der Krankenstation lag und mir dachte, daß es nicht mehr viel gab, wofür es sich zu leben lohnte, trat Mr. J. P. Warner ins Zimmer, in der Hand den ersten von fünfzehn Briefen, die mir deine geliebte Mutter Woche für Woche geschrieben hat. Als Bedingung dafür, daß sie sich widerstandslos abschieben ließ, hatte sie ihren Häschern mit der ihr eigenen Bravour meine Postadresse abgerungen. Für vieles von dem, was sie mir geschrieben hat, sind deine Augen und Ohren jetzt noch zu jung. Deine Mutter ist zwar eine keusche, aber auch eine leidenschaftliche Frau, die mit ihren Sehnsüchten nicht hinterm Berg hält. Aber wenn du einmal sehr alt bist und ebenso geliebt hast wie ich, setzt du dich vielleicht an einem kühlen Abend ans Feuer und liest, wie mich deine Mutter mit jeder Seite, die sie mir schrieb, zu Lach- und Freudentränen rührte, bis an Selbstmitleid oder Verzweiflung nicht mehr zu denken war.
    Ihre Fortschritte entsch ädigen mich reichlich für meine erzwungene Untätigkeit. Sie ist nicht mehr bloß Diplomkrankenschwester, sie ist Oberschwester Hannah in einer nagelneuen Lehrstation im allerbesten Krankenhaus in Kampala! Und findet dabei trotzdem noch die Zeit, sich in einfachen operativen Eingriffen weiterzubilden! Um sich die Schürzenjäger vom Leib zu halten, hat sie sich, wie sie schreibt, auf Grace’ Rat hin einen unechten Ehering gekauft, bis ich ihr eines Tages einen echten schenken kann. Und als ein junger Praktikant sie im Operationssaal begrapschen wollte, hat sie ihn derma ßen heruntergeputzt, daß er sich drei Tage hintereinander bei ihr entschuldigt hat, nur um sie anschließend zu einem Ausflug in sein Wochenendhaus einzuladen, worauf es gleich die nächste Standpauke setzte.
    Nur eines macht mir Sorgen: Denkt sie vielleicht, ich h ätte ihr nicht verziehen, daß sie die Bänder fünf und sechs aus meiner Umhängetasche genommen und an Haj geschickt hat? Könnte ich doch nur sicher sein, daß sie weiß, daß es für mich nie etwas zu verzeihen gab! Denn wenn sie es nicht weiß, wird sie sich dann als braves Mädchen aus der Mission nicht lieber einen Mann suchen, der ihr nichts vorzuwerfen hat? Solches sind die Fragestellungen, die ein inhaftierter Liebender ausklügelt, um sich damit in endlosen Nachtstunden den Kopf zu zermartern.
    Und einen Brief gab es, Noah, den ich aus moralischer Feigheit erst gar nicht öffnen wollte. Es war ein schwerer Umschlag, ölig braun, schwach liniert, ein sicheres Zeichen, daß sich hier die geheime britische Oberwelt zu Wort meldete. Aus Sicherheitsgründen trug er eine gewöhnliche Briefmarke statt des verräterischen Aufdrucks On Her Majesty ’ s Service . Mein Name, meine Nummer und die Adresse des Lagers, korrekt bis ins kleinste Detail, waren in einer Handschrift geschrieben, die mir genauso vertraut war wie meine eigene. Drei Tage lang stand der Umschlag auf der Fensterbank und starrte mich an. Schließlich aber,
    gest ärkt durch einen Abend mit J . P . Warner und einer Flasche Rioja, die er uns mit Maxies Blutgeld hatte zukommen lassen, griff ich zu einem der weichen Plastikmesser, die verhindern sollen, daß ich mir etwas antue, und schlitzte ihm damit die Kehle auf. Den Begleitbrief las ich zuerst. Schlichtes weißes A4-Papier, kein Wasserzeichen, Adresse London und das Datum.
    Lieber Salvo,
    offiziell kenne ich den Verfasser des beigef ügten Schreibens nicht, und ich habe es auch nicht gelesen. Barney versichert mir, daß der Inhalt privater Natur und frei von Obszönitäten ist. Wie Sie wissen, widerstrebt es mir, die Privatsphäre anderer zu verletzen, soweit nicht das Wohl unserer Nation auf dem Spiel steht. Ich hoffe von Herzen, daß Sie eines Tages wohlwollender an unsere Zusammenarbeit zurückdenken können, gibt es doch nichts Wichtigeres, als daß der Mensch zu
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher