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Geh auf Magenta - Roman

Geh auf Magenta - Roman

Titel: Geh auf Magenta - Roman
Autoren: Frankfurter Verlags-Anstalt
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wiederholte noch einmal, dass er immer erreichbar sei, dann war die Leitung still, das Display zeigte 6.30 Uhr an.
    Die Tonlosigkeit seines Telefons schien sich auf eine eigentümliche Weise auf den Raum zu übertragen; die Zeichnungen lagen ruhig auf dem Tisch, die Bilder standen starr aneinandergelehnt, der Rechner, völlig bewegungslos, kein Lufthauch rührte sich, die Stille war vollkommen.
    Lass mich nicht fallen.
    Bastien fragte sich, weshalb diese Worte ihn so wenig berührten, hießen sie doch nichts anderes, als dass es gute Gründe auf Hoffnung gab – auf ein neues Bastien und Mel , auf das Ende aller Schmerzen und ein Ende allen Leids.
    Wollte er das eigentlich?
    Er wurde wieder müde. Der letzte Tag in diesem Jahr fing bizarr an.
    *
    Mila hatte bereits das zu sich genommen, was sie ihr Frühstück nannte: drei Tassen schwarzen Kaffee und fünf Zigaretten. Die Nr. 6 klebte in ihren Mundwinkeln, als sie schrieb: Bruder, da wir ohnehin bald die einzigen Wesen auf diesem verbrannten Planeten sein werden, schlage ich vor, dass wir uns heute treffen und diesen letzten Abend zusammen erleben. Ich will hier auf jeden Fall raus und komme zu dir. Bin um 7 da. Schwester.
    Das war nicht überlegt. Vielleicht war es auch nicht schlau. Aber sie hatte ein gutes Gefühl mit Bruder – vielleicht noch mehr als das, sie war sogar etwas aufgeregt.
    Im Treppenhaus vor ihrer Tür begann der Tag. Das Aufschließen von Schlössern war zu hören, das Öffnen der Briefkästen im Erdgeschoss, Schritte auf den Stufen, das Gemurmel von Stimmen, aus der Ferne ein zweifaches Guten Morgen . Eine simple Begegnung auf den Treppen, offenbar kam jemand herab, und jemand ging hinauf. Was zu dieser Uhrzeit jedoch unüblich war. Sie hörte die Schritte auf den Stufen, sie kamen näher.
    Im Stock unter ihr schien die Person einen Moment zu verharren, offenbar suchte sie ein Namensschild. Dann waren wieder die Schritte zu hören. Sie erstarrte; hier oben gab es keine weitere Wohnung. Und nichts im Flur wies darauf hin, dass sie hier wohnte. Die Stufen knarrten lauter, der Besucher stand jetzt vor der Tür. Einen Moment lang geschah nichts, dann klopfte es dreimal. Sie saß still und wagte kaum zu atmen. Es klopfte noch einmal, dann ein weiteres Mal, die Stimme ließ sie zusammenzucken:
    »Mila?«
    Das Klopfen wurde lauter. Sie zog die Beine an und umklammerte sie mit den Armen, grub dabei ihre Fingernägel in die Waden.
    »Mila? Ich bin’s.«
    Er sagte das auf eine Art, als wenn es das Normalste der Welt sei. Sie drückte fester zu, spürte, wie es an den Fingerkuppen nass wurde.
    Er wartete.
    Sie saß still, nur ihr Oberkörper bewegte sich vor und zurück, ganz leicht – wie ein Baby, dachte sie, wie ein kleines Baby, ich bin ein Baby . Sie hörte, wie er von einem Fuß auf den anderen trat und offenbar unschlüssig überlegte, was zu tun war. Dann klopfte er wieder: »Mila? – Bitte!«
    Die Stimme klang härter, verlangender. So hatte sie immer geklungen, seine Stimme, seine Befehle – komm her, meine Kleine ; sie starrte auf die Tür.
    »Mila?!«
    Ein weiteres Klopfen. Die Tür war alt, er könnte sie eintreten.
    Sie sah das Küchenmesser neben dem Wasserkocher.
    »Mila?!«
    Er schwieg. Mit zwei Schritten wäre sie beim Messer, sie fixierte die Distanz. Es wären genau zwei Schritte.
    Er atmete laut und bewegte sich nicht.
    Dann hörte sie, wie er die Stufen hinunterstieg, wieder stehen blieb, dann weiterging. Nach einigen Minuten öffnete sich die Haustür unten, fiel dann laut ins Schloss.
    Ihre Waden fühlten sich nass an, die Finger waren blutverschmiert; langsam zog sie die Hände zurück und legte sie auf die Oberschenkel. In dieser Position saß sie über eine Stunde lang unbeweglich da und starrte weiterhin auf die Tür. Dann streckte sie langsam ein Bein nach dem anderen aus und stand auf; sie ging zum Fenster und spähte vorsichtig durch die Jalousie. Die Leute der Müllabfuhr schoben die Tonnen über die Straße, der Gemüsehändler unterhielt sich mit seinen Kunden. Er war nirgendwo zu sehen.
    Sie klappte das Notebook zu und verstaute es in ihrem Rucksack, ebenso ein paar Kleidungsstücke und eine angebrochene Stange Zigaretten. Leise öffnete sie die Tür und ging auf Zehenspitzen die Treppe hinunter. Im Hinterhof kletterte sie über eine Mauer, die den Hof vom Nachbargelände trennte, dort schlich sie sich durch den Toreingang nach draußen und reihte sich zwischen den Passanten ein. Bis zum Abend hatte sie noch sehr viel
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