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Gegenwinde

Gegenwinde

Titel: Gegenwinde
Autoren: Oliver Adam
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mich die Papiere unterschreiben ließ. Ich wünschte ihnen gute Fahrt, bedankte mich für ihren Fleiß und ihre guten Ratschläge: Der Garten bestand aus einem Haufen Unkraut und kranken Bäumen, eingefasst von grauen, schartigen Mauern, sie hatten eine Skizze gemacht, und im Handumdrehen hatte sich meine Ödnis in ein blühendes Stück Land mit teppichdickem Rasen, Grillplatz, Schaukel und Gemüsebeet verwandelt. Der Lastwagen schnaubte noch einmal, bevor er vor dem Fenster verschwand, ich stand allein im Wohnzimmer. Das stille, lichtdurchflutete Haus hatte etwas Vertrautes, seine Schlichtheit war beruhigend. Es ist gut, sagte ich mir. Das brauchen die Kinder. Beruhigung. Und bei mir war es nicht viel anders.
    Im ersten Stock schlief Manon zusammengerollt mitten in meinem Bett, direkt auf der Matratze. Die Sonne fiel auf ihr Haar und ließ ihre rechte Wange rot aufleuchten. Sie lutschte am Daumen und schnarchte. Sie war einfach eingedöst, es hatte ihr zu lang gedauert, bis ihre Playmobilkisten ausgeladen wurden. Ich öffnete das Fenster, und ein Geruch nach lauem Wind strömte herein, ein Duft nach Himmel, nach Frühling, so kurz vor dem Winter. Ich legte mich neben sie, küsste ihr vierjähriges Gesichtchen und schloss eine ganze Weile die Augen.

Im gelben Zimmer riss Clément kilometerweise Klebeband von den Kartons. Er packte systematisch und gewissenhaft die vielen Spielsachen, Puzzles und Gesellschaftsspiele aus und verstaute sie auf den Borden seines Regals, in den Schubladen seines Schreibtischs und unter seinem Bett. Ich beobachtete ihn eine Zeitlang. Ab und zu hielt er inne und betrachtete ein Modellflugzeug, eine Figur oder einen Roboter, das war alles. So hatte er immer schon gespielt. Schon lange vorher. Trotzdem fand ich es sonderbar und beunruhigend. Er ging stets auf dieselbe Art vor, er begnügte sich damit, seine Spielsachen nach seinen Vorstellungen in eine bestimmte Ordnung zu bringen, und diese Ausgangssituation entwickelte sich dann nur noch in seinem Kopf weiter. Da mochten noch so wilde Schlachten stattfinden, Fahrten, Stürme, Schiffskollisionen aufeinander folgen, es bewegte sich nichts. Das konnte Stunden dauern. Er hockte da und blickte auf reglose Action Men, mitten in der Bewegung erstarrte Piraten, Warhammer-Armeen, die nicht ausrückten. Er stellte seine letzte Rafale aufs oberste Regalbrett. Ich trat lautlos zu ihm, legte ihm meine Hand auf die Schulter. Mit einem Schrei fuhr er auf.
    »Hast du mich erschreckt!«
    »Entschuldige. Kommst du zurecht?«
    »Es geht.«
    »Soll ich dir helfen?«
    »Wenn du willst.«
    Ich setzte mich neben ihn, und wir machten uns an die Kleider, draußen war die Sonne etwas höher gestiegen, beschien das Parkett und vergoldete die Wände. Ein staubflirrender Strahl durchschnitt das Zimmer. Ich nahm seine Sachen aus dem Koffer, und er räumte sie in die Kommode, manchmal faltete er einen Pulli oder ein T-Shirt auseinander, um sie glattzustreichen und sorgfältiger wieder zusammenzulegen. Danach kamen die Bücher und die Schulsachen an die Reihe. Schweigend arbeiteten wir über eine Stunde Seite an Seite. Am Ende war alles geordnet, nur das Bett musste noch gemacht und Platz für die Poster gefunden werden.
    »Gefällt es dir?«
    »Ja. Es ist gut.«
    »Hast du keinen Hunger?«
    »Nein. Noch nicht.«
    »Hilft du mir dann bei Manons Zimmer?«
    Wieder machten wir uns an die Arbeit, der Raum war größer und die Tapete hässlich, Wochen zuvor war Manon vor diesem Lachsrosa stehengeblieben. Sie hatte erklärt: Das ist mein Zimmer, bevor sie hinausgegangen war, um den Garten zu besichtigen. Dort wimmelte es von Schnecken. Ich hatte ihnen viel zu verdanken. Die Kleine liebte sie, und ich glaube, ihnen war es zu verdanken, dass mein Plan aufging.
    Ich öffnete das Fenster. Auf dieser Seite war das Rauschen des Meeres bei ruhigem Wetter zu einem Gemurmel gedämpft, doch es roch nach Salz und nach Algen, der Nordwind brachte mit jeder Flut lange rötliche und lilafarbene Strähnen an den Strand. Clément unterbrach das Auspacken der Kisten immer wieder, um seine Schwester anzuschauen, sie schlief mit roten Wangen und feuchtem Nacken, er wollte fertig werden, bevor sie aufwachte. Wir beeilten uns, die zerlegten Kartons türmten sich im Flur, Girlanden von braunem Klebeband hingen an der Treppe. Mein Herz klopfte, als ich mir vorstellte, was für große Augen sie machen, wie entzückt sie sein würde, wenn sie das vollmöblierte Puppenhaus entdeckte, das blau-rosa
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