Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gegenschatz

Gegenschatz

Titel: Gegenschatz
Autoren: Leah Moorfeld
Vom Netzwerk:
kreisen.

Tamara
    Als ich vor meinem Haus eintreffe, erblicke ich Marc Rossmann. Die Motorhaube seines Protzschlittens steht weit offen und er beugt sich darüber. Ich steige vom Rad und schiebe es so geräuschlos wie möglich auf die Kellereinfahrt zu. Ohne es zu wollen, gleitet mein Blick über seinen nackten, mit Motoröl verschmierten Rücken, auf dem ein großer grauer Adler mit weit geöffneten Schwingen eintätowiert ist. Der Schweiß auf seinen muskulösen Armen glänzt in der Sonne. Sein knackiger Hintern steckt in einer ausgefransten Jeans. Plötzlich dreht er sich mit einem Schraubenschlüssel in der Hand um. Sein Blick wandert sofort zu mir und er grinst mich an.
    «Hallo Süße!»
    Ich wende meinen Blick abrupt ab, um ihm zu zeigen, wie wenig ich von seinen Anmachversuchen halte. Aber warum nur verdammt noch mal geht mir diese Stimme durch Mark und Bein? Und warum zittern plötzlich meine Knie? Ich will das nicht! Warum kann es bei Simon nicht so sein? Frustriert schiebe ich das Rad weiter zur Kellertür.
    «Du hast heißen Besuch heute, Süße!», ruft Marc mir hinterher. Wie vom Donner getroffen bleibe ich stehen und fahre herum.
    «Besuch? Was für Besuch?»
    «Ne heiße Braut! Wenn du heute keine Lust auf mich haben solltest, kannst du sie nachher gerne zu mir rüber schicken!»
    Tamara! Das kann nur Tamara sein. Ich schnaube verächtlich! Plötzlich klingelt ein Telefon. Marc Rossmann fischt ein Handy aus der Tasche und ich werde zwangsläufig Zeugin von ein paar Gesprächsfetzen.
    «Hey Schnucki!» Pause.
    «Sorry, bin schon belegt, für heut Nacht!» Pause.
    «Heiraten? Hast du zu viel geraucht, oder was?»
    Pause.
    Ich verschwinde mit meinem Fahrrad im Keller, als ich Marc noch «Fuck you!» fluchen höre. Mir doch egal, was er sich da für Probleme eingehandelt hat, meine Gedanken drehen sich um meinen ungebetenen Besuch. Ich eile die Treppenstufen hinauf und tatsächlich hockt oben Tamara vor meiner Wohnungstür – wie immer aufgedonnert, vollbusig und mit blass-roten Strähnen in ihrem blonden Lockenkopf. Meine eigenen Rundungen fallen längst nicht so üppig aus wie ihre, aber ich fühle mich wohl in meinem Körper. Zu große Brüste wären mir wohl eher lästig, bei dem Sport den ich in meiner Freizeit treibe – Joggen, Radfahren, Schwimmen und Tennis. Ich funkle Tamara böse an, als sie sich erhebt, um mich zu begrüßen.
    «Verschwinde! Ich will dich nicht sehen!»
    «Wie lange willst du mir noch böse sein? Es tut mir unendlich Leid und ich entschuldige mich hiermit zum 2158sten mal.»
    «Und wenn du dich eine Millionen mal entschuldigst, das ändert nichts. Ich will, dass du aus meinem Leben verschwindest!»
    «Nein!»
    «Nein?»
    Ihre Hartnäckigkeit verblüfft mich.
    «Nein! Du bist meine große Schwester und ich liebe dich!»
    Ich schüttelte ungläubig den Kopf.
    «Ich glaube dir kein Wort! Da steckt doch etwas anderes dahinter! Haben dich unsere Eltern vielleicht mal wieder vor die Tür gesetzt, weil du vor lauter Faulheit dein Leben nicht auf die Reihe bekommst und jetzt suchst du bei mir einen billigen Unterschlupf, wo du dich weiter als Schmarotzer durchschlagen kannst?»
    «So was glaubst du also von mir!»
    «Es wäre nicht das erste mal!»
    «Ich habe mich geändert. Ich arbeite als Kosmetikerin und habe inzwischen eine eigene Wohnung. Ich brauche also deine Unterstützung nicht.»
    Verwundert starre ich sie an. Scheinbar hat sich in den letzten drei Jahren Funkstille tatsächlich viel getan. Tamara war immer das schwarze Schaf der Familie gewesen. Weder ihre schulischen Leistungen, noch ihre Aufmachung und schon gar nicht Tamaras Verhalten genügten den ambitionierten Ansprüchen unserer Eltern. Während ich an der Uni eine Auszeichnung nach der anderen bekam, ließ Tamara keine Party und keine Katastrophe aus, die man als Teenager erleben kann.
    «Was willst du dann?»
    Ich merke frustriert, dass meine Wut langsam abebbt. Ich will Tamara weiter hassen. Sie trägt die Schuld daran, dass alle meine Pläne mit Nick zerplatzten, wie schillernde Seifenblasen. Außerdem hilft mir die Wut, den Schmerz darüber nicht so heftig zu fühlen.
    «Ich will ganz einfach mit dir reden, dir alles erklären.
    Du hast mir ja nie Gelegenheit dazu gegeben! Und bis vor kurzem wusste ich noch nicht einmal, wo du wohnst und arbeitest.»
    «Wie hast du das nun wieder herausgefunden!»
    «Ist doch egal!»
    «Unsere Eltern haben es dir sicherlich nicht verraten. Wahrscheinlich hast du wieder in
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher