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Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)

Titel: Gefühlte Nähe: Roman in 23 Paarungen (German Edition)
Autoren: Harald Martenstein
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aufgeräumt, die Pflanzen gegossen und dabei mal wieder die Kraftwerk-Kassette gehört, die du mir aufgenommen hast. Sie eiert schon ein bisschen. Mir ist durch den Kopf gegangen, was du mir in Indien gesagt hast, ich bin ein netter Typ und so, aber einfach zu langweilig, und deswegen wird das nichts mit uns. Wenn du nicht in mich verliebt bist, kann ich nichts machen, ich kann ja kein anderer Mensch werden. Aber auf der anderen Seite fühlen wir uns doch beide wohl, wenn wir zusammen sind, das sagst du doch auch, und wir ergänzen uns, das siehst du doch genauso, und zwar genau deswegen, weil ich ein bisschen ruhiger und zurückhaltender bin als du.
    Was ich besonders schön finde, sind die Telefongespräche, in denen uns beiden nichts mehr einfällt und wir beide nichts mehr sagen, sondern nur noch dem anderen beim Atmen zuhören. Dann sitzen wir beide am Telefon und hören unserem Schweigen zu. Das können nicht alle, so etwas. Mit Leuten, die man nicht so gut kennt, kann man immer über irgendetwas reden, aber lange gemeinsam schweigen, ohne dass es unangenehm ist, kann man nur mit ganz wenigen. Ich kann das nur mit dir.
    Während ich darauf warte, dass mein Telefon klingelt, denke ich, dass du vielleicht gerade das Gleiche tust. Das kommt bestimmt sehr oft vor. Zwei Menschen, die gerne miteinander reden würden und die beide im gleichen Augenblick darauf warten, dass die andere Person anruft. Beide sitzen in der gleichen Haltung neben dem Telefon und essen eine Tafel Schokolade, beide fassen manchmal mit Schokoladenfingern den Telefonhörer an. Und warum tun sie beide nicht den ersten Schritt? Aus Stolz sehr wahrscheinlich.
    So, jetzt habe ich gerade versucht, bei dir anzurufen. Du bist nicht zu Hause oder gehst nicht ans Telefon, aber ich hab es probiert, da kannst du mir gratulieren. Ich habe meine kindlichen Reflexe überwunden, ich war erwachsen!
    Wenn du dich mit anderen Männern getroffen hast, dann hat mir das immer einen kleinen Stich gegeben, aber damit bin ich trotzdem ganz gut zurechtgekommen. Das Einzige, was ich brauche, oder gebraucht habe, war das Gefühl, die Nummer eins zu sein. Ohne dieses Gefühl komme ich nicht klar, und ohne dieses Gefühl kann man sich zu zweit doch kein Leben aufbauen. Also, dass man auch mal zu zweit auf ein Fest geht, und es ist klar, die gehören zusammen, die werden auch zu zweit wieder nach Hause gehen. Als wir vor drei Wochen das Wochenende zusammen verbringen wollten und du am Samstagnachmittag gesagt hast, so, ich gehe dann jetzt, ich bin mit dem Doubek zum Essen verabredet, der Doubek kocht bei sich zu Hause was für uns beide, da habe ich mir nur deswegen in die Hand geschnitten, weil ich ein Zeichen sehen wollte, ein Signal, dass du, wenn’s darauf ankommt, im Notfall, eben auch mal auf eine Verabredung verzichtest, meinetwegen, weil es mir schlecht geht. Ich wollte dich nicht grundsätzlich in deiner Autonomie einschränken, ich wollte nicht, dass es so endet, in diesem furchtbaren Streit. Dass es so tierisch blutet und gleich die Sehne erwischt, war auch nicht abzusehen.
    Der Arzt sagt übrigens, dass zwei Finger steif bleiben, aber das finde ich nicht schlimm, ich bin ja kein Handballer. Der Taxifahrer macht ein bisschen Stress, weil ich auf dem Weg ins Krankenhaus angeblich sein Polster versaut habe, der Typ hat mir doch echt eine Rechnung geschickt, dabei war das Taxi schon vorher total versifft.
    Das kann ich jetzt sehr wahrscheinlich nicht wiedergutmachen. Ich wollte, ich könnte es.
    Es ist wahnsinnig schwer, Gefühle zuzulassen und sie dann wachsen zu sehen und sich gleichzeitig darüber im Klaren zu sein, dass es eben Grenzen gibt und dass diese Gefühle auf gar keinen Fall irgendwelche Ansprüche auf die andere Person begründen dürfen, das muss total selbstlos bleiben. Gleichzeitig spürt man, wie wichtig die andere Person für einen ist und dass man diese Person braucht, da setzt so eine Art Selbsterhaltungstrieb ein, und es gibt Kurzschlusshandlungen. Natürlich macht man dadurch alles nur noch schlimmer.
    Auch in den besten Momenten kann es jederzeit wieder vorbei sein. Der kleinste Fehler kann genügen, wie bei Hochseilartisten. Mir ist einfach schwindlig geworden.
    Ich wollte, ich könnte dir einen Heiratsantrag machen, mich hinknien und so, wie man das früher getan hat, aber damit würde ich mich bestimmt noch lächerlicher machen, als ich es sowieso schon bin. Früher ist es normal gewesen, dass man bleibt, was man ist, Bauer meinetwegen,
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