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Gefuehlschaos inklusive

Gefuehlschaos inklusive

Titel: Gefuehlschaos inklusive
Autoren: Sabine Richling
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hatte meine Mutter schon immer ein Händchen. Die Stufe zur Haustür ist mit dunkelgrünem Linoleum aus der Zopfzeit ausgelegt. Ich habe meine Eltern schon mehrmals gebeten, diesen grasgrünen Belag auszutauschen, doch sie hängen an diesem altbewährten Überzug. Scheußlich! Hoffentlich fällt es Christian nicht auf. Als ich den Klingelknopf drücken möchte, hindert mich Christian daran.
    „Claudia, wir müssen da etwas aus der Welt schaffen. Ich ...“
    Doch in diesem Augenblick wird die Haustür geöffnet und meine Mutter begrüßt uns freudig.
    „Ich habe ein Geräusch an der Tür gehört und angenommen, unsere Klingel sei defekt. Schön, dass ihr da seid.“
    Sie begrüßt mich ungewohnt impulsiv und nimmt mich in den Arm. Hat sie Drogen genommen?
    „Und Sie müssen Claudias Freund sein“, stellt sie begeistert fest und reicht ihm die Hand.
    „Christian Ruhland ist mein Name.“
    „Oh, sehr erfreut. Bitte treten Sie doch ein.“
    Mein Vater kommt dazu und stellt sich Christian vor. Mir nickt er verhalten zu, was soviel heißt, wie: Da bist du ja!
    Wir werden ins Speisezimmer geführt, wo der Tisch mit dem feinsten Geschirr eingedeckt ist, das meine Eltern besitzen. Kann es sein, dass wir noch Besuch erwarten oder haben sie eigens für Christian und mich diesen Aufwand betrieben? Ich bin überrascht. Meine Mutter bietet uns einen Portwein an, den ich dankend ablehne. Ich habe das Zeug noch nie gemocht, doch bei jeder Feier oder jedem Besuch wird eine Flasche geöffnet. Eine Tradition, mit der ich nichts anfangen kann.
    Mein Vater beginnt ein unverfängliches Gesprächmit Christian. Sie brauchen nicht lange, um herauszufinden, dass sie dieselbe Leidenschaft teilen: Fußball.
    Schon sind meine Mutter und ich abgeschrieben und alles dreht sich nur noch um dieses Thema. Das ist für mich nicht weiter tragisch. Kann ich mich doch so stumm zurücklehnen und anderen die Gesprächsführung überlassen. Ich habe eh keine Lust auf eine Unterhaltung.
    Während des Essens wird Christian von meinen Eltern regelrecht verhört. Sie möchten alles über sein Versicherungsunternehmen wissen und fragen ihn nach seinem beruflichen Werdegang aus. Haben sie sich eine Liste mit Fragen angefertigt, die sie auswendig gelernt haben? Zum Dessert sind sie bereits darüber informiert, dass Christian einmal geschieden ist, was ich noch nicht mal wusste. Langsam gehen mir die Recherchen meiner Eltern gehörig auf die Nerven. Christian allerdings scheinen sie nicht das Geringste auszumachen. Bereitwillig beantwortet er eine Frage nach der anderen.
    Nach dem Essen lehnt sich Christian in seinem Stuhl bequem zurück und legt seinen Arm auf meiner Stuhllehne ab. Diese intime Geste ist mir vor meinen Eltern unangenehm. Sie sind es nicht gewohnt, dass Vertraulichkeiten im Beisein anderer ausgetauscht werden. Ein Kuss oder eine liebevolle Berührung wäre für sie undenkbar. Darum bin ich auf einen entrüsteten Blick meiner Eltern vorbereitet. Aber Christian scheint sie derartig zu beeindrucken, dass sie ihm alles verzeihen würden.
    Mit einem Gläschen Wein in der Hand setzen wir uns ins Wohnzimmer. Im Kamin prasselt das Feuer und der Schein der vielen Kerzen taucht den Raum in ein samtiges Licht. Dieses Zimmer habe ich schon zu meiner Kindheit geliebt. Hier war ich Prinzessin und konnte von meinem Märchenprinzen träumen. Christian setzt sich auf dem Sofa so dicht neben mich, dass ich kaum Platz zum Atmen finde. Sein Bein überschlägt er in meine Richtung, während er seinen Arm um meine Schulter legt. Ich fühle mich quasi umzingelt von ihm. Meine Eltern sehen diskret darüber hinweg.
    „Wissen Sie, Herr Ruhland“, sagt meine Mutter nun, „wir sind wirklich sehr froh, dass wir Sie einmal kennenlernen durften. Unsere Tochter enthält uns ihre Bekanntschaften in der Regel vor.“
    „Mama!“ Peinlich berührt fangen meine Ohren an zu glühen. Aber sie lässt sich nicht unterbrechen.
    „Sie ist erwachsen geworden und wir sind wirklich sehr stolz auf sie. Leider hat sie nicht den Weg eingeschlagen, den wir uns für sie vorgestellt haben.“ Meine Mutter zieht sich ein Taschentuch hervor und tupft über ihre Augen. „Sie sollte es einmal leichter haben als wir, doch sie wehrte sich partout gegen ein Studium. Heutzutage kann man doch ohne Studium überhaupt nichts werden, nicht wahr, Herr Ruhland?“
    Wenn ich gewusst hätte, dass meine Mutter heute Abend zu Höchstformen aufläuft, ich hätte ihr vorher einen Maulkorb verpasst.
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