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Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)

Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)

Titel: Gefangene der Dämmerung: Ravenwood 2 - Roman (German Edition)
Autoren: Mia James
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fühlte sich allmächtig, unbesiegbar. Das Verlangen überwältigte ihn, drohte ihn zu verschlingen. Er beugte sich über sie, spürte ihre Wärme, sog ihren Duft tief in seine Lungen. Dann hauchten seine Lippen einen letzten Kuss über ihre Haut.
    »Nenn mich einfach … Jack.«

Teil eins

Erstes Kapitel
    N ORDLONDON, 13. F EBRUAR, G EGENWART

    E s dämmerte bereits, als April zum Friedhof ging. Es war einer dieser strahlenden, frischen Wintertage, und während die Sonne allmählich hinter den Bäumen verschwand, fielen lange Schatten über die Swain’s Lane. April zog ihren Mantel enger um sich und marschierte zum Friedhofseingang. Es lag nicht nur an der Kälte. Sie hasste es, am Gebäude der Friedhofsverwaltung vorbeizugehen und in die mitleidig lächelnden Gesichter zu sehen. Auf dem Friedhof von Highgate lagen 150 000 Seelen begraben; die meisten Toten waren längst vergessen, ihre Grabsteine und Namen von Moos und Unkraut überwuchert. Niemand kam hierher, um sie zu besuchen, bis auf vereinzelte Touristen, die die düstere Pracht der Grabmäler besichtigen wollten.
    Aber April Dunne war aus einem anderen Grund hier. Ihr Vater war William Dunne gewesen, der bekannte Journalist und Autor etlicher Bücher über übersinnliche Phänomene, einer der ganz wenigen Menschen, dessen sterbliche Überreste in den letzten Jahren auf dem Friedhof von Highgate beerdigt worden waren. Er lag in der Familiengruft der Dunnes, die sich auf halber Höhe auf einem steilen Hügel im Westteil des Friedhofs befand. Und das machte April in gewisser Weise zu einer Berühmtheit hier. Sie war die einzige Trauernde, die auf dem Friedhof ein Familiengrab besuchte. Auch sonst hatte sie durchaus Berühmtheit erlangt. Sie war das arme Mädchen, das auf genau diesem Friedhof vor nicht allzu langer Zeit Zeugin eines Mordes geworden war, und wenige Wochen später hatte sie auch noch mit ansehen müssen, wie ihr Vater mit zerfetzter Kehle auf dem Teppich in der Diele verblutet war – weiß Gott grauenhaft genug für eine Sechzehnjährige, doch April wäre um ein Haar sogar selbst ums Leben gekommen. Nur einen Steinwurf entfernt, im Ostteil des Friedhofs, hatte ein Verrückter versucht, ihr den Arm abzureißen, sie halb erdrosselt und zum Sterben an einem zerbröckelnden Grabstein zurückgelassen. April Dunne war das Mädchen, das der Tod offenbar nicht in Ruhe lassen konnte.
    Vielleicht wird das eines Tages auf meinem Grabstein stehen , dachte April, hastete durch die eisernen Torflügel und winkte Miss Leicester zu, der grauhaarigen Friedhofsvorsteherin. Zumindest würde Miss Leicester nicht versuchen, sie in ein Plauderstündchen zu verwickeln oder sie mit Mitleidsbekundungen zu behelligen. Sie schien sich nie von ihrem Platz hinter dem Schreibtisch in der umgebauten Kapelle fortzubewegen, und anscheinend lächelte sie auch nie. Was April nur recht war: Sie kam fast jeden Tag hierher, seit sie eine Woche zuvor aus dem Krankenhaus entlassen worden war, und brauchte niemanden, der ihr dumme Fragen stellte.
    Miss Leicester nickte kaum merklich und warf demonstrativ einen Blick auf die große Uhr an der Wand. Der Friedhof schloss Punkt fünf Uhr, und wehe dem, der bis dahin nicht das Gelände verlassen hatte. April erschauderte bei der Vorstellung, von Miss Leicester einen Anschiss zu bekommen; außerdem hatte sie keinerlei Verlangen, sich nach Einbruch der Dunkelheit noch auf dem Friedhof aufzuhalten.
    Auf dem Weg die Treppe hinauf bemerkte April plötzlich, wie schön es hier war. Nein, schön war nicht ganz das richtige Wort, dafür war die Atmosphäre zu schwermütig, zu traurig. Der Friedhof wirkte erhaben , wie ein einst ebenmäßiges Gesicht, das Falten bekommen hatte, oder ein altes Haus voller Geheimnisse. Aber er war nicht unheimlich, jedenfalls nicht bei Tageslicht, und selbst im Dunkel … April erinnerte sich noch gut an den romantischen Abend, an dem sie mit einem mysteriösen Jungen, den sie kaum kannte, Hand in Hand im Mondschein zwischen den Gräbern her-umspaziert war. Lächelnd lief sie den gewundenen Pfad zur Familiengruft hinauf. An die gemeißelten Gesichter der Engelsstatuen, an denen sie vorbeikam, hatte sie sich immer noch nicht gewöhnt. Im schwindenden Tageslicht wirkte es, als registriere man Gesichter und Gestalten aus den Augenwinkeln, die sofort wieder verschwunden waren, sobald man genauer hinsah.
    »Hör auf, dir wegen jedem Schatten in die Hose zu machen«, sagte sie leise. »Alle, die hier liegen, sind längst
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