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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel
Autoren: authors_sort
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Niemand baut bessere.
    Diesen Satz habe ich ihr gegenüber vor ein paar Tagen erwähnt, ab wir uns auf dem Rücken liegend in den langen aquamarinen Wellen treiben ließen, die Augen zum Schutz vor der Sonne zu schmalen Schlitzen zusammengekniffen. Sie konnte sich kaum daran erinnern, ihn gesagt zu haben. Alles, was auf Sanction TV geschehen ist, kommt uns bereits wie etwas aus einem früheren Leben vor. Im Leben nach dem Tod verliert man das Zeitgefühl, wie es scheint, oder vielleicht hat man einfach nicht mehr das Bedürfnis, auf dem Laufenden zu bleiben. Jeder von uns könnte dem Datenpool der Virtualität entnehmen, wie lange wir schon unterwegs sind und wann genau wir eintreffen werden, aber es scheint, dass niemand von uns den Wunsch dazu verspürt. Wir ziehen die Unbestimmtheit vor. Wir wissen, dass auf Sanction TV bereits Jahre vergangen sind, aber wie viele es genau sind, kommt uns irrelevant vor – was es wahrscheinlich auch ist. Der Krieg könnte längst vorbei, der Frieden längst ausgehandelt sein. Oder auch nicht. Es ist schwer, mehr Interesse für diese Frage aufzubringen. Hier berühren uns die Lebenden nicht.
    Zumindest die meiste Zeit.
    Gelegentlich frage ich mich doch, was Tanya Wardani jetzt tun mag. Ich frage mich, ob sie bereits zu den Grenzen des Sanction-Systems vorgestoßen ist, Konzentration und Erschöpfung im Gesicht eines neuen Sleeves, während sie über den Glyphen an den verschlossenen Luken eines marsianischen Kriegsschiffs grübelt. Ich frage mich, wie viele weitere vorübergehend deaktivierte Brocken dort draußen ihre Bahn ziehen, bereit, das Feuer ihrer uralten Feinde zu erwidern, um dann verwundet in die Nacht zurückzustürzen, worauf Maschinen hervorkriechen, die trösten und reparieren und alles für das nächste Mal vorbereiten. Ich frage mich, was wir sonst noch alles in diesem überraschend überfüllten Himmel finden werden, sobald wir anfangen, uns dort umzusehen. Und gelegentlich frage ich mich, was sie überhaupt da draußen gemacht haben. Ich frage mich, wofür sie im Weltraum rund um diesen unscheinbaren Stern gekämpft haben, und ich frage mich, ob sie am Ende der Meinung waren, dass es sich gelohnt hat.
    Seltener sind die Gelegenheiten, bei denen ich meine Aufmerksamkeit der Frage zuwende, was ich tun muss, wenn wir Latimer erreicht haben, aber die Einzelheiten erscheinen mir so irreal. Die Quellisten wollen zweifellos einen Bericht. Sie wollen zweifellos wissen, warum ich Kemp nicht für ihre Pläne gewinnen konnte, die sie mit dem gesamten Latimer-Sektor verfolgen, warum ich in einem kritischen Moment die Seiten gewechselt habe, und vor allem, warum die Lage jetzt kein Stück besser ist als zum Zeitpunkt, als sie mich per Needlecast hingeschickt haben. Das haben sie vermutlich nicht im Sinn gehabt, als sie mich angeheuert haben.
    Ich werde mir irgendetwas ausdenken.
    Im Augenblick habe ich keinen Sleeve, aber das ist meine geringste Sorge. Ich habe Anspruch auf die Hälfte von zwanzig Millionen UN-Dollar, die auf einer Bank in Latimer City liegen, ich habe eine kleine Truppe von zähen Freunden mit Spezialkenntnissen, von denen einer verwandtschaftliche Beziehungen zu einer der berühmtesten militärischen Dynastien auf Latimer hat. Ich werde einen Psychochirurgen für Sutjiadi engagieren. Ich werde das Limon-Highland aufsuchen und Yvette Cruickshanks Familie die Nachricht ihres Todes überbringen. Darüber hinaus habe ich die vage Vorstellung dass ich zu den mit Silbergras bewachsenen Ruinen von Innenin zurückkehre, um aufmerksam auf ein Echo dessen zu lauschen, was ich an Bord der Tanya. Wardani vernommen habe.
    Das alles werde ich der Reihe nach erledigen, wenn ich von den Toten wiederauferstanden bin. Jeder, der damit ein Problem hat, kann sich in die Schlange stellen.
    In gewisser Weise freue ich mich darauf, wenn dieser Monat zu Ende ist.
    Das Leben nach dem Tod wird maßlos überschätzt.
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