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Gefallene Engel

Gefallene Engel

Titel: Gefallene Engel
Autoren: Gunnar Staalesen
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Gesicht, und sie sagte leise: »Sogar – er! Als sei es vorbestimmt gewesen, daß ich … Daß ich auserwählt war – beschmutzt zu werden, auf diese Weise!« Mit einer plötzlichen Nüchternheit fügte sie hinzu: »Es hat mein Leben zerstört. Ich wurde nie ich selbst. Konnte nie etwas fühlen. Wurde nur kalt bei dem Gedanken. Alles andere, der Stoff, das ganze Elend – alles kommt nur daher. Weißt du … Ich habe nie mit jemandem geschlafen seit damals!«
    Ich sah sie an.
    »Ja, da guckst du! All die Jahre in der Szene? Aber es ist wahr. Ich habe nie mit jemandem da geschlafen, und ich hab’ mich nie prostituiert. Ich hab’ gestohlen, statt dessen. Ein paarmal tat ich, als ob ich wollte … lockte Hurenkunden mit … und raubte sie aus. Entweder allein oder zusammen mit anderen.«
    Ich sagte barsch: »Das hast du also auch mit Arild Hjellestad gemacht? Ihn mit dir in die Kälte gelockt, ihn besoffen gemacht, getan, als ob du wolltest … bis er völlig blau war und einschlief?«
    Sie warf den Kopf hin und her, ihr Blick flackerte, und sie zuckte mit den Schultern. Mit schwacher Stimme sagte sie: »Vielleicht ist es so gewesen. Vielleicht auch nicht.«
    »Und Harry Kløve? Leichter konnte es nicht sein. Hinter ihm am Fußgängerüberweg stehen, den Bus kommen sehen, ihn rausschubsen …«
    »Leicht? Glaubst du, so was ist leicht?«
    Ich ging weiter. »Und Jan Petter Olsen – auf der Baustelle, am Abend dunkel, es waren nicht mehr viele da, es war kurz vor Arbeitsschluß – Wochenende – und du? Was hast du getan?«
    Sie kniff die Lippen zusammen.
    »Ihn durch die Öffnung in der Wand geschoben? Dort wo die Verandatür hinsollte? Einfach so – als wäre es gar nichts?«
    »Ich … habe nichts anderes gemacht, als ihnen die Briefe zu schicken.«
    » Das gibst du also jedenfalls zu?«
    Plötzlich sprühten ihre Augen Funken. »Genau! Ja, das gestehe ich. Ich gestehe alles! Erzähl mir nur, was ich getan habe, dann werde ich alles gestehen …«
    Ich sah sie an. »Dein eigener Vater …«
    »Er war nicht …!«
    »Nein, okay. Johnny Solheim. Für ihn brauchte man ein stärkeres Mittel. Ihn konnte man nicht einfach …«
    Ihr Blick hing an meinem Mund, wie der einer hypnotisierten Waldmaus vor einer Schlange.
    »Du wußtest, wo er an dem Abend spielte. Wartetest draußen auf ihn, bis er rauskam. Folgtest ihm. Als ihr endlich in eine Straße kamt, wo euch keiner sehen konnte …« Ich nickte ihr auffordernd zu.
    Sie nahm den Faden mit einer merkwürdigen Distanz in der Stimme auf, als sähe sie das Ganze mit großem Abstand. »Ich … rief seinen Namen. Er drehte sich um. Zuerst erkannte er mich nicht wieder, aber dann: Ruth? – Genau da stach ich zu. So tief ich konnte, während ich ihm direkt in die Augen starrte. Er … fiel eine Kellertreppe runter. Das tat – gut.«
    »Und dann war nur noch dein richtiger Vater übrig. – Warum, warum schicktest du diese – Briefe?«
    »Damit sie es wissen sollten, begreifen – daß jemand hinter ihnen her war, daß etwas passieren würde, daß auch sie vom – Sch … Schicksal eingeholt werden konnten.«
    »Und – Jakob. Wie wolltest du ihn umbringen?«
    Sie sah auf meine Füße, ganz unten am Knöchel, ohne zu antworten.
    »Du wirst es jetzt nicht mehr brauchen, Ruth.«
    Dann waren ihre Augen mitten in meinem Gesicht, schwarz wie Kohlestücke. »Ich komme wieder raus! Eines Tages …«
    Ich seufzte schwer. »Aber warum – lügst du?«
    Sie sah mich an. Die Zigarette war jetzt bis zur Wurzel eingesogen. Sie drückte sie in der Streichholzschachtel aus, holte eine neue hervor und zündete sie an. »Lügen? Was meinst du?«
    »Du hast diese Morde nicht begangen, Ruth, jedenfalls nicht alle! Als Jan Petter Olsen getötet wurde, warst du immer noch draußen in Lindås. Du sahst die Todesanzeige, last in der Zeitung davon, und dann – fuhrst du in die Stadt!«
    Sie sah mich an mit einem sterbenden Gesichtsausdruck. Die Tränen waren getrocknet, die Glut der Zigarette färbte die bleichen Wangen rot. »Ach ja?« sagte sie, mit einer Art Sarkasmus in der Stimme.
    »Wen beschützst du, Ruth? Deinen richtigen Vater?«
    Sie starrte mich wild an. Der Blick flackerte. Die Zigarette hüpfte zwischen ihren Lippen, und sie griff sich an den Hals.
    Sie wollte etwas sagen, aber wir wurden unterbrochen.
    Es klopfte an die Fensterscheibe, so hart, daß wir beide hochschreckten.
    Sie sah mich erschreckt an.
    Ich stand auf und schaltete das Licht aus. Danach ging ich zum Fenster und
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