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Gefaehrten der Finsternis

Titel: Gefaehrten der Finsternis
Autoren: Chiara Strazzulla
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bedeutungsschwere Wort schien endlos zwischen den Mauern der Festung widerzuhallen.
    »Komm her«, bat ihn Myrachon kaum hörbar. Eine Welle des Schmerzes durchzuckte ihn, als er seine eigene Stimme nicht mehr wiedererkannte - die Stimme, die so stolz die Truppen zum Angriff getrieben hatte.Was blieb von solchen Momenten außer der Erinnerung?
    Schweigend schloss Slyman die Tür hinter sich und ging auf das Bett zu. Er blieb neben dem Bett stehen und sah seinen Vater wortlos an. »Es ist meine Schuld« sagte er dann, ohne das weiter zu erklären. Dabei wirkte seine Stimme ebenso hart wie sein Gesicht. Der ernste Klang passte nicht zu seinen weichen jugendlichen Zügen.
    »Nein«, flüsterte der Sire und streckte eine Hand nach seinem Sohn aus. »Niemand trägt die Schuld daran. Eigentlich kann man es nicht einmal als Schuld bezeichnen. Wer hat denn gesagt, dass es etwas Schlimmes ist?«
    Nun kniete sich Slyman neben das Bett und beugte seinen
Kopf zu dem müden Gesicht seines Vaters hinunter. »Vielleicht wäre es besser gewesen, wenn ich Eure Stelle eingenommen hätte und Ihr meine«, sagte er mit schmerzerfüllter Stimme.
    Der Sire schüttelte nur schwach den Kopf. »Sag das ja nie mehr«, erwiderte er und klang ein wenig vorwurfsvoll dabei. »Du bist jung, du bist klug und tapfer. Du bist es, den das Ewige Königreich jetzt braucht.« Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. »Du bist es. Nicht ich.«
    »Auch Ihr solltet nicht so sprechen.« Slymans Stimme klang tränenerstickt, doch seine Augen blieben trocken. »Das Königreich könnte uns beide brauchen. Außerdem liebe ich Euch.«
    Der König sah ihn erneut an und lächelte. Seine Finger spannten sich und er strich zärtlich über die glatte Wange seines Sohnes. »Umarme mich«, sagte er dann mit seinem letzten Atem.
    Slyman beugte sich zu ihm hinunter und umarmte ihn mit all der Zärtlichkeit und der Verzweiflung eines Sohnes, der weiß, dass er seinen Vater verliert. Jetzt rollten ihm die Tränen ungehemmt über die Wange, ohne dass er es überhaupt bemerkte. »Papa«, sagte er leise. Papa, nicht Vater. Das war kein Titel, sondern ein Name.
    Doch der Sire antwortete nicht mehr; seine Augen waren geschlossen. Er schien zu schlafen.
    Vom Schmerz überwältigt, kam Slyman nicht einen Moment in den Sinn, dass er jetzt der Herr über das Ewige Königreich war.
     
    Lyannen erholte sich von Tag zu Tag und machte große Fortschritte. Er musste zwar immer noch im Bett bleiben, damit sich seine immerhin durch Magie geschlagenen Wunden nicht wieder öffneten, aber es ging ihm besser und er war ausgezeichneter Laune. Dass die Bedrohung, die auf dem Königreich gelastet hatte, nun von ihnen genommen war, hatte auf ihn die gleiche Wirkung gehabt wie auf alle anderen. Er hatte Lust, laut zu lachen,
zu scherzen, heiter zu sein, und sogar seine alten Minderwertigkeitskomplexe schienen in diesem Moment allgemeiner Freude keine Rolle mehr zu spielen. Er war sich nicht einmal so recht im Klaren darüber, dass er jetzt ein Held war, der jüngste in der großen Schar der Ewigen. Doch die Kunde von seinen und Slymans Taten hatte sich blitzschnell verbreitet, und die Leute hatten seinen Namen für würdig befunden, ihn in einem Atemzug mit denen der großen Helden von einst zu nennen.
    Im Lazarett, wo Lyannen sich erholte, trafen jeden Tag Geschenke, Blumen und Wünsche für seine baldige Genesung ein. Und die gleichen Mädchen, die früher seiner Haare wegen schlecht über ihn geredet hatten, bewunderten nun deren herrliche rabenschwarze Farbe und waren plötzlich bereit zu beschwören, wie unglaublich ähnlich er seinem vornehmen Vater sah. Die höchsten Würdenträger des Ewigen Königreiches kamen zum früher so missachteten Außenseiter Lyannen, um ihm ihre Aufwartung zu machen.
    Für jeden jungen Mann, der sich dreihundert Jahre lang minderwertig gefühlt hatte, wäre es eine große Sache gewesen, wenn man ihn mit Helden verglich, die er selbst immer bewundert hatte. Doch Lyannen nahm das Ganze mit überraschender Gelassenheit auf.Wenn wichtige Leute bei ihm eintrafen, ihn grüßten und beglückwünschten, empfing er sie mit heiterem Lächeln, ohne im Geringsten verlegen zu sein. Und wenn die Besucher wieder gegangen waren, legte er sich schlafen oder las, als wäre nichts geschehen.
    Eileen saß stets an seinem Kopfende, und jetzt, da ihr Vater, der König, tot war, war ihre Beziehung noch inniger geworden. Auch seine Freunde aus dem Bund der Rebellen verbrachten die meiste
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