Gefährliche Ideen
Beitrag ist nur ein weiterer Webknoten im großen Teppich der Übereinstimmung, wo jeder der Auffassung zustimmt, dass Kreativität wichtig sei, gefördert und angekurbelt werden müsse und so weiter. Bisweilen nimmt dies komische Züge an, etwa wenn staatliche Bürokraten verkünden, dass wir mehr Kreativität bräuchten,während sie fleißig ihre Stempel auf einen weiteren Stapel von Erlassen und Anordnungen setzen. Oder wenn man sich bewusst macht, dass es staatliche Behörden für Innovation gibt, was ungefähr so abwegig klingt, als würde man Improvisationsstudios für Bürokraten errichten. Der Begriff dient als Mantra oder Aufruf – offensichtlich herrscht der Glaube vor, dass man Kreativität nur oft genug erwähnen muss, und schon erscheint sie wie ein Engel oder Dämon praktisch aus dem Nichts. In der Regel ermüdet mich diese unkritische Lobhudelei jedoch. Wie kirchliche Liturgie kann sie hübsch sein und sogar Wohlbehagen auslösen, doch wenn sich alles auf Worte, Dogmen und Rituale beschränkt, wird es endlich Zeit für etwas eher … Ketzerisches.
Der Sowjet der Kreativität
Auf meinen Vortragsreisen erzähle ich gerne von einer wissenschaftlichen Konferenz über Kreativität, an der ich zu meinem Unglück teilgenommen habe. Zu Beginn bitte ich meine Zuhörer scherzhaft, eine Kreativitätskonferenz für mich zu definieren. Wenn ihnen dies nicht gelingt, helfe ich ihnen aus: »Es handelt sich dabei um eine Ansammlung von einhundert weißen Männern mittleren Alters, die alle darin übereinstimmen, dass ihr Tätigkeitsfeld wahnsinnig wichtig ist.«
Die Konferenz, von der ich berichte, entsprach genau diesem Typus. Schlimmer noch: Die Keynote wurde von einem Kreativitäts-Promi gehalten, der ebenfalls mit allen anderen einer Meinung war, nur noch weitaus mehr. Er fegte mit geballten Fäusten auf die Bühne und fragte uns, ob wir an Kreativität glaubten. Tatsächlich klang er wie ein Priester, der seiner Herde predigt: »Glaaaauuben Sie an Kreativität?« Und siehe da, die Herde antwortete so, wie es nur echte Gläubige vermögen: mit voller Zustimmung.Ja, sie glaubten daran! Ich für meinen Teil musste unwillkürlich an eine Szene aus dem Film
Das Leben des Brian
denken. Falls Sie den Film kennen, wissen Sie jetzt schon, welche ich meine. Brian, der unglückselige Held, der zur selben Zeit wie Jesus in Nazareth geboren wurde, wird in einer Schlüsselszene des Films irrigerweise für den Messias gehalten. Um sich aus dieser vertrackten Situation zu befreien, versucht er die ihn anbetende Menschenmenge zur Vernunft zu bringen, indem er ihr sagt, dass es töricht sei, ihm zu folgen. Er erinnert die Menschen daran, dass sie alle Individuen seien. Und umgehend beginnt die Menge zu skandieren: »Wir sind alle Individuen …« Alle – bis auf einen bärbeißigen alten Mann, der brüllt: »Ich nicht!« Der Witz liegt natürlich darin, dass das einzig wahre Individuum jener Mann ist, der behauptet, keines zu sein, und bei dieser Konferenz konnte ich ihn sehr gut verstehen. Wenn Kreativität so gemeint war, wollte ich damit nichts zu tun haben.
Das mag ein wenig zynisch klingen. Natürlich hat Kreativität viele gute Seiten, und ich möchte sie nicht schlechtreden, jedenfalls nicht wirklich – und Sie, liebe Leserin oder lieber Leser, werden selbst entscheiden müssen, ob dies bedeutet, dass auch ich von meinem Tätigkeitsfeld kompromittiert wurde. Wer sich mit wirklicher, ungeschminkter Kreativität beschäftigt, wird feststellen, dass es sich immer noch um ein interessantes Konzept handelt, das man ernst nehmen sollte. In der betrieblichen Praxis, aber auch in anderen Bereichen, stellt Kreativität nach wie vor einen der wichtigsten Parameter des Fortschritts dar. Sie ist ein notwendiger Bestandteil aller lebenden sozialen Systeme – ein allgegenwärtiger Aspekt menschlichen Denkens und Seins. Um es etwas knapper zu formulieren: Kreativität ist überall anwesend, in jeder Situation. Einer der größten Schwindel wird von manchen Experten verbreitet, die mithilfe impliziter Drohungen und durch das Säen von Unsicherheit und Zweifeln den Eindruckerwecken, als könnte die Kreativität aussterben. Keine Sorge, das ist völlig ausgeschlossen – außer bei Ausrottung der gesamten Menschheit.
Ostblock-Unternehmer
Gemeinsam mit meiner außergewöhnlich kreativen Kollegin Saara Taalas habe ich einmal einen provokativen Artikel verfasst, in dem wir allen Ernstes behaupteten, die Sowjetunion, jene seltsame,
Weitere Kostenlose Bücher