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Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Oesterreich
Autoren: Heinrich Steinfest
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aufwärmt, wovon manche Eintöpfe besser, andere schlechter werden). Diese Einladung brachte es nun mit sich, daß ich an einem kalten, diesigen Novembermorgen in Stuttgart in den Zug stieg, um nach Rosenheim zu fahren und dort nach Wörgl abzuzweigen. Dabei fragte ich mich, ob ich die Landesgrenze erkennen, erspüren würde? Würde ich innerlich zusammenzucken, wenn plötzlich die Heimat an mir vorbeifuhr? Würde tief in mir ein Flämmchen aufflackern, wie bei einem Warmwasserboiler, der endlich wieder funktioniert? Oder würde alles gar nicht so dramatisch sein, wie der literarische Geist es sich wünscht? – Apropos dramatisch: Wenn man soeben aus der Position des fernen Beobachters eine »Gebrauchsanweisung für Österreich« geschrieben hat, fürchtet man, beim Eintreten in den beobachteten Gegenstand eine Watschen abzubekommen. Wie das mitunter Kritikern passiert, die sich unvernünftig nahe an eine Diva wagen. Und Österreich ist ganz sicher eine Diva, die Diva.
    Doch es kam anders. Keine Watschen, kein schlagartig anspringender Boiler. Nein, das Einwirken der Heimat erfolgte stückchenweise, wie bei einer Krankheit, wenn man zunächst bloß ein Kratzen im Hals spürt, eine kleine Hitze, ein kleines Gewicht im Körper, das sich auf die Glieder verteilt, bevor dann der Infekt machtvoll sein Spiel mit einem treibt.
    Es war natürlich ein Zufall, aber als ich nach Österreich kam, genauer gesagt nach Tirol, war das Land weiß vom Schnee. Weit und breit nichts von einem Klimawandel zu sehen, alles Kulisse, alles Berglift, alles Bilderbuch.
    Da lagen sie, die lieblichen Orte, die man nur vom Zug aus betrachten sollte, ohne die schrecklichen Details, ohne die Verrohung von Landschaft und Architektur wahrnehmen zu müssen, die man dem Fremdenverkehr — allein dieses Wort! — verdankt. Im Vorbeifahren, eingedickt vom Schnee, aber noch außerhalb des saisonal bedingten touristischen Bombardements, muten diese Ansiedlungen fast unberührt an, friedlich, als dienten sie alleine dazu, die eine oder andere Schilegende hervorzubringen, den einen oder anderen ausländischen Fußball- oder Sonstwiepräsidenten zu beherbergen (die Österreicher sind absolute Meister in der Präsidentenbeherbergung, und es fragt sich, warum dieses im Grunde recht selbstbewußte Volk sich derart devot gegenüber mächtigen oder erfolgreichen Ausländern verhält; man muß kein linksradikaler Österreichverbesserer sein, um die Auswüchse der Präsidentenbeherbergung, diese unentwegten steuerrechtlichen und sonstigen Kniefälle mit Verwunderung zur Kenntnis zu nehmen. Man sollte zum lieben Gott aufschauen, aber nicht zu Leuten, die ein bißchen im Fernsehen Vorkommen, oder halt dauernd). — Verzeihen Sie meine Abschweifung. Wir waren.. .ja, wir waren bei Orten wie Kitzbühel und Oberndorf und St. Johann in Tirol. Viele Kirchen, engstehende Häuser. Diese Orte erinnern an erschlagene Igel. Wehrlos, mag sein, aber selbst tote Igel haben Stacheln, nicht wahr?
    Saalfelden hingegen ist kein Igel. Auch nicht tirolerisch, sondern salzburgerisch. Es liegt offen da, gewissermaßen ausgestreut, was aber wenig an den schmalen Gehwegen im Zentrum ändert, die dank der Schneehaufen nicht gerade breiter werden. Gleichzeitig fällt eines sofort auf: Die Rücksichtnahme der Autofahrer gegenüber den auf zwei Beinen dahinschreitenden Passanten. Wenn man aus Stuttgart kommt, mag man es kaum glauben. Ein österreichischer Zebrastreifen scheint tatsächlich von allen (!) als ein vorrangiger Fußgängerübergang verstanden zu werden und nicht — wie so oft in deutschen Landen — als eine geometrische Bodenverzierung, die man – wie so oft bei moderner Kunst — so rasch als möglich zu überwinden versucht. Und somit allein das Primat des Stärkeren gilt, also des motorisierten Bodenkunstüberwinderers. Ein deutsches Kind lernt den Zebrastreifen als eine allerhöchste Gefahrenquelle zu begreifen, ein österreichisches Kind als ein Vorrecht.
    Ich möchte nicht sagen, daß den Österreichern ihre Autos weniger heilig wären (das wäre ein schöner Traum), auch sie verbindet ein familiäres Verhältnis zu den rollenden Maschinen, wie man es in mystischen Bereichen zu domestizierten Drachen pflegt, aber der österreichische Automobilist scheint nicht zu vergessen, daß er nicht nur vom Homo erectus und vom Homo habilis abstammt, sondern sich vor allem aus dem Fußgeher heraus entwickelt hat und daß man mit seinen Vorfahren halbwegs rücksichtsvoll umgehen
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