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Gebrauchsanweisung fuer Indien

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Indien
Autoren: Ilija Trojanow
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Postbeamter in manchen Brief hineingeschielt hat, kann er mit frappierenden persönlichen Details seine Klarsichtigkeit unter Beweis stellen. Derweil verdient seine Familie unter der Anleitung des praktisch veranlagten Vaters durch den Verkauf von Blumenketten und Räucherstäbchen ein kleines Vermögen. Selbst Affen zieht der Neuheilige an: »Als die Affen zum erstenmal auftauchten, beäugten sie Sampath, dieses seßhafte Mitglied einer anderen Spezies, das sie in ihrem Territorium vorfanden, etwas beklommen und hielten argwöhnisch Distanz, fletschten ihre grotesken verfärbten Zähne, grimassierten und schnatterten verächtlich und spöttisch. Unbeeindruckt von ihrem Hohngelächter, froh über einer weitere Ablenkung, trieb Sampath das gleiche Spiel mit ihnen und johlte und grölte: ›Huh, huh‹, schrie er, rollte die Augen, blähte die Backen auf, wie es schien zu beidseitiger Zufriedenheit, denn die Possen nahmen kein Ende, und bald wagten sich die Affen näher heran, streckten die schmutzigen verrunzelten Hände aus und knufften Sampath, zuerst behutsam, um abzuwarten, wie er reagierte, und als sie merkten, daß er keine Bedrohung darstelle, stießen sie richtig kräftig zu. Und was für Grimassen er schneiden konnte! Ihren Affengesichtern war anzusehen, daß sie schwer beeindruckt waren. Sie waren noch beeindruckter, als sie lange genug auf der Obstplantage waren, um Sampath als den Mittelpunkt einer freigebigen Gemeinde identifizieren zu können. Komischerweise schien sich alles Eßbare auf der Plantage um diesen johlenden dünnen Jungen zu sammeln, der Qualitäten aufwies, die an ihnen nicht gerade geschätzt wurden, ihm jedoch allergrößte Anerkennung einbrachten. Zweifellos, je mehr ein Mensch von einem Affen hatte, um so mehr Geschenke erhielt er.«
    ›Der Guru im Guavenbaum‹ ist ein Roman von Kiran Desai, aber er liest sich wie eine Meldung aus der Rubrik ›Vermischtes‹.
    Dem Leser mag all dies phantastisch und überdreht erscheinen, unglaubwürdig gar, aber wer in Indien gelebt hat, wird manches als durchaus realistisch ansehen. So auch die religiöse Empörung über den Plan der Armee, die Affenplage mit Gewalt zu bekämpfen. Schließlich ist Hanuman der legendäre Helfer und Begleiter des Gottes Rama, einer Inkarnation von Vishnu. Da kann man Affen nicht so einfach abschießen.

    Auch Jane Wilson hat einen Guru. Er ist nur einen Knopfdruck und einige Mausklicks von ihr entfernt. Um 16.59 loggt sie sich ein bei ›TutorVista‹, und kurz darauf begrüßt sie ihren Guru, einen jungen Mann aus Bangalore in Indien, der sie seit Monaten durch jenes Fach führt, das ihr in der Schule so viele Sorgen bereitet, die Mathematik. Jane mag ihren Guru; er schimpft sie nie aus, er korrigiert geduldig ihre Fehler, er scherzt mit ihr, und er ermutigt sie. Nach einer Stunde am Bildschirm – ihr Lehrer trägt kurzärmlige Hemden, selbst wenn es bei ihr schneit – hat sie, wenn auch nur für kurze Zeit, das Gefühl, sie werde die nächste Schularbeit meistern.
    Der Guru heißt Dhananjay Anantmurthy. Es ist sehr früh am Morgen für ihn. Es hat eine Weile gedauert, bis er sich daran gewöhnt hat, vor Sonnenaufgang aufzustehen und entspannt und fröhlich unbekannte Teenager in den fernen USA zu unterrichten. Als er bei ›TutorVision‹ anfing, mußte er zuerst geschult, sein starker südindischer Akzent abgeschliffen werden. Heute hört man zwar, daß er aus Indien stammt, aber der nur mehr leichte Einschlag wirkt eher charmant als störend. Und aus den Gesprächsfetzen zwischen zwei lösbaren Aufgaben lernt er die coolen Ausdrücke, die Teenager-Formeln der Enttäuschung und Beschwichtigung, die er inzwischen selbstbewußt einsetzt wie ein Dompteur, der immer wieder in die Manege steigt. Jane ist einer seiner leichtesten Fälle. Sie lernt zwar langsam, aber sie gibt nicht auf, und sie läßt sich nach jedem Scheitern schnell wieder aufbauen. Mit Sima Malhotra aus Montana, deren Nachhilfestunde sich gleich anschließen wird, hat er mehr Probleme. Sie möchte mit ihm lieber über Bollywood tratschen, und sie läßt sich von jeder Nebensächlichkeit ablenken.
    Das Geschäft mit der Online-Nachhilfe entwickelt sich gut. Gemäß Schätzungen erzielen indische Firmen damit schon einen Jahresumsatz von zehn Millionen Dollar, mehr als drei Viertel davon mit Studenten aus den USA. Elektronische Nachhilfeschulen werden im ganzen Land eröffnet, selbst in kleineren Städten wie etwa Ludhiana und Rishikesh. Die indischen
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