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Gebrauchsanweisung fuer Indien

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Indien
Autoren: Ilija Trojanow
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einem Konzertsaal in Bombay alle Schüler des vor Jahresfrist unerwartet verstorbenen Alla Rakha versammelt, gewandet in weiße Kurta Pajamas saßen sie hinter ihrer jeweiligen Doppeltrommel, und auf ein Zeichen von Zakir Hussein hin begannen sechzig Hände synchron zu spielen, und zum erstenmal hörte ich die dadaistischen Klänge der vielschichtigsten aller Trommeln in einem gemeinschaftlichen Resonanzkörper widerhallen, der mich mit seiner gewaltigen Fülle erregte und sehr bewegt die Lebendigkeit einer Überlieferung bekräftigte.
    Der ganze Tag war ein einziges Konzert. Sänger, Sitar-, Sarangi- und Sarodspieler traten nacheinander auf, auf dieser und auf anderen Bühnen, und zum Abschluß des Tages gedachte Zakir Hussein seines Gurus mit einem Open-Air-Konzert, zu dem er einige der größten Trommler der Welt eingeladen hatte, und als er das Mikrofon ergriff, um einige persönliche Worte zum gegebenen Anlaß zu sagen, vertraute er dem Publikum an, daß Alla Rakha für ihn zuallererst Guru-ji war und erst in zweiter Linie Baba-ji (Vater).

    Bina guru gnana nahi! ›Ohne Guru gibt es kein Wissen.‹ Es gilt als unseriös, sich auf eigene Faust kundig zu machen. Lehrer und Schüler sind miteinander verknotet in einer symbiotischen Beziehung namens Guru-Shishia-Parampara. Der Guru übergibt einem Shishia (Schüler) nicht nur das lebensbegleitende Mantra, sondern sein Beispiel führt ihn in allen Bereichen des Lebens, ein Beispiel, das praktische Fertigkeiten ebenso vorzeigt wie den Weg der spirituellen Erhöhung. Der Schüler wird dem Guru quasi zum Ziehsohn, er lebt oft in seinem Haus, er folgt seinen Anweisungen gehorsam, er dient ihm, und er fügt sich der Disziplin, die der Guru vorgibt. Seit den alten Texten der Upanishaden wird in Indien die Bedeutung der Beziehung zwischen Guru und Schüler in den Mittelpunkt wahrhaftiger Unterweisung gestellt. Damals war Schriftlichkeit noch eine Ausnahme, die mündliche Vermittlung von Wissen und Einsicht wurde gesichert und fortgeführt durch den Guru.
    Später, als die Bhakti -Bewegung mit ihrer Vorstellung einer direkten und persönlichen Beziehung zu einem Gott eigener Wahl großen Einfluß auf die religiöse Praxis gewann, wuchs die Bedeutung des Guru sogar noch an, denn nun wurde er als leibhaftige Erscheinung des Göttlichen angesehen. In manchen Traditionen wurde von dem Schüler verlangt, daß er nicht nur seinen Geist und seinen Körper, sondern auch sein gesamtes Eigentum dem Guru anheim geben sollte. Der Guru ist bis zum heutigen Tag mehr als nur eine Respektsperson, er wird in einer Weise geehrt, die ansonsten nur den Göttern zukommt. Der Donnerstag heißt auf Hindi Guruwar (der Planet Jupiter, auf Sanskrit Bruhaspati, ist aufgrund seiner Weisheit der ›Guru der Götter‹) und gilt als Tag des Gurus. Viele Menschen gedenken an diesem Tag ihres Gurus, oft in Form eines Fastens (Upavas). Auch in hohem Alter ißt man nur Früchte in Andenken an jenen Guru, dem man als junger Mensch nahestand.
    Der Guru testet den Glauben und die Hingabe des Shishia, der Shishia jedoch darf die Absichten des Gurus nicht in Frage stellen. Es heißt, jeder Shishia findet den Guru, den er verdient. Das erklärt, wieso die europäischen Sinnsucher zu Gurus wie Osho pilgerten, zu Meistern der spirituellen Abkürzung.
    Wenn die eigene Lehrzeit vorbei ist, fragt man den Guru, was man nun für ihn tun kann. Und der noble Guru wird nichts anderes verlangen, als daß man sein Wissen weiterträgt.

    Ich lernte meinen Guru im Fahrstuhl kennen. Als er eintrat, im zwölften Stock, sagte er etwas, das ich vergessen habe, aber die Art, wie er es sagte, so hintergründig nebensächlich, machte mir Eindruck. »Vor mir stand ein kleiner Mann, steif, die Beine weit auseinander, die Arme hinter dem Rücken verschränkt, das Gesicht leuchtend, der Bart lang und weiß, die Augenbrauen gräulich, das Haar am Hinterkopf zu einem Zopf gebunden. Ein weißer Bart reichte ihm bis zum Bauch, doch seine Stirn war glatt. Er lächelte mich freundlich an … ein Gnom fast, dessen Stirn sein Alter glättete. In seinen Augen lauerte eine verschmitzte Weisheit. Respektiere alles, legte sie nahe, und nehme nichts zu ernst. Seine Augen kullerten hinter dicken Brillengläsern.« (›Der Weltensammler‹). Der unbekannte alte Mann war neugierig, er wollte alles wissen. Wann ich in dieses Gebäude eingezogen sei, wie lange ich zu bleiben gedenke, wieso ich nach Indien gekommen sei. Wir standen im Erdgeschoß auf dem
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