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Gebrauchsanweisung fuer Indien

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Indien
Autoren: Ilija Trojanow
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Parkplatz, und meine neue Bekanntschaft zeigte keine Eile, sich zu verabschieden. Auf eine Eingebung hin fragte ich ihn, ob er denn einen guten Lehrer kenne, ich wolle Hindi und Hinduismus lernen und vielleicht auch ein wenig Sanskrit.
    »Wissen Sie, wer der beste Lehrer ist?« fragte mich der Weißbärtige. Ich verneinte. »Er steht vor Ihnen. Einen besseren Lehrer werden sie nicht finden.«
    Und das sollte sich bewahrheiten. Denn der Mann aus dem Fahrstuhl wurde zu meinem Guru-ji, seine Frau, die ich Mata-ji (Mutter) nannte, und er teilten ihr Leben mit mir, sie nahmen mich in ihre Familie auf, wir kochten zusammen, feierten miteinander und gelegentlich studierten wir gemeinsam, unsystematisch, unregelmäßig, aber immer so, daß das bedeutendste Instrument der Erkenntnis nie aus dem Blickfeld geriet – der Humor.

    Gespräch mit Guru-ji.
    »Gott ist in allem?«
    »So sehen wir es.«
    »Wieso soll man dann in den Tempel gehen?«
    »Weil sich Gott im Tempel offenkundiger zeigt.«
    »Aber Gott ist doch überall?«
    »Na ja, wenn du Gott in einer Kakerlake erkennen kannst, das ist natürlich das beste, das schlägt alles.«

    Ein Amerikaner namens Donald Heller kam eigentlich nach Bombay, um Sanskrit zu lernen. Aber dann begann er von Musik zu träumen, genauer gesagt von Sarod, einem der klassischen Instrumente der indischen Tradition. Lange suchte er, bis er einen Guru fand. Doch der Guru lebte in einem Vorort der Stadt, er konnte es sich nicht leisten, oft in die Stadtmitte zu fahren, um Unterricht zu geben, und der Schüler war unzufrieden mit den seltenen Stunden, also mietete er eine Wohnung in der Nachbarschaft des Gurus, damit er mit ihm zusammenleben konnte. Und er blieb, anstelle von einigen Monaten, viele Jahre.

    Der berühmte indische Sitar-Virtuose Arvind Parikh, der mehrere Dutzend Schüler hat und in seinem ganzen langen Leben noch nie eine Stunde hat ausfallen lassen (wenn er auf Konzerttournee war, wurden die Stunden nachgeholt), hatte auch einen Shishia in Iran. Eines Tages erreichte ihn die Nachricht, dieser sei schwer erkrankt. Danach hörte er nichts mehr von dem iranischen Schüler. Einige Monate später bat Arvind Parikh einen Iraner, den er in Bombay kennengelernt hatte, ob er nicht nach seiner Rückkehr nach Hause herausfinden könnte, was mit dem Schüler geschehen war. Der Mann berichtete umgehend, leider sei der Schüler verstorben, aber er spüre die Bande zwischen dem indischen Guru und dem iranischen Schüler und die Trauer, daß diese nun zerrissen sei, und daher werde er an die Stelle des Verstorbenen treten. Gehen Sie bitte davon aus, schloß er seinen Brief, daß Sie weiterhin einen Shishia in Teheran haben.

    Rebellen sind jene, die die Weisheit ihrer Lehrer auf einer anderen Ebene ansiedeln, die sich mit dem Mantra des Gurus nicht begnügen. Wie Kabir, ein Analphabet, der im Laufe seines asketischen Lebens am Ufer des Ganges zu einem der großen Dichter der Menschheit werden sollte. Kabir war ein scharfzüngiger Prediger, der keine Gelegenheit ausließ, gegen die zwei großen Religionen des Landes zu wettern. Heute wird er als einer der wichtigen Heiligen in der Geschichte Indiens verehrt; eine Sekte namens ›Kabir Panth‹ sieht in ihm gar eine Inkarnation Gottes und huldigt ihm, obwohl er in seinen in volkstümlichem Hindi geschriebenen Strophen gegen jegliche Idole, Propheten, Uniformen, Glaubenszeichen und Rituale gewettert hat.

    Allerorten irrer Wirrwarr.
    Veden, Koran, Heilige Hölle –
    wer ist Mann? Wer ist Frau?
    Ein Tontopf voller Luft und Sperma.
    Was bleibt, wenn der Topf zerbricht?
    Narr! Du hast den Clou nicht gerafft.

    Kabir glaubte nur an den direkten, ehrlichen Weg zu Gott, jenseits von Dogmen und Gesetzen. Er war als Prediger, dem Hinduismus und Islam gleich viel beziehungsweise wenig wert waren, keineswegs eine singuläre Erscheinung. Ein Jahrhundert zuvor hatte in Kaschmir eine Tochter aus hinduistischem Haus namens Lal Ded Werke von solcher Kraft geschrieben, daß noch heute viele Kashmiris nicht nur ihr Vorbild ehren, sondern ihre Gedichte auswendig kennen. Und eine Generation nach Kabir sollte Guru Nanak eine der bedeutendsten synkretistischen Bewegungen ins Leben rufen: den Sikhismus, in dessen Heiligem Buch, dem Adi Granth, ein ganzes Kapitel den Gedichten von Kabir gewidmet ist.

    Schon der Name der Religion deutet auf das außergewöhnliche und spirituell geladene Verhältnis von Lehrer zu Schüler. Nicht nur lautet der Titel der zehn geistigen
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