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Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Amerika
Autoren: Watzlawick Paul
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komischen Touristen) sehen. [4] Es wird Ihnen sicher lächerlich vorkommen – und damit begehen Sie den typischen Fehler anzunehmen, daß die Regeln der eigenen Gesellschaft »richtig« und die der anderen Gesellschaftsformen und Kulturen »falsch« oder »dumm« sind. In Tat und Wahrheit ist natürlich jede solche Regel so richtig oder falsch wie jede andere; es sind Konventionen und nicht ewige, objektive Wahrheiten. 
    Nehmen Sie nur das »richtige« Verhalten des Mannes, der eine Dame in ein Lokal begleitet. Wenn Sie Gentleman der alten kontinentaleuropäischen Schule sind, so haben Sie bereits als Junge gelernt, daß Sie in diesem Falle zuerst eintreten und die Türe für die Dame offenhalten. In Amerika dagegen ist dieses Verhalten ein schwerer faux pas. Dort gebietet die Höflichkeitsregel, daß der Mann der Dame nur vorgreift, die Türe öffnet und offenhält, sie aber zuerst hineingehen läßt. Gar mancher Europäer verscherzt sich mit seiner »Unhöflichkeit« ganz unwissentlich seine Chancen und mag sich dann vergeblich den Kopf zerbrechen, weshalb seine Begleiterin auf einmal kühl und wortkarg ist. Das Resultat ist also, daß sie sich stumm über seine Taktlosigkeit ärgert und er über ihre Launenhaftigkeit. – Damen erwarten im allgemeinen nicht, daß man ihnen aus dem Mantel hilft; tut man es aber, so gehen sie meist stumm ihrer Wege und lassen einen mit dem Mantel in der Hand dastehen. Schrille Pfiffe des Publikums am Ende eines Vortrags oder einer künstlerischen Darbietung (sogar eines Sinfoniekonzerts) haben nicht die europäische Bedeutung von heftiger Ablehnung, sondern drücken ganz im Gegenteil lebhafte Begeisterung aus. Kritik wird sanft mittels Zischen und weniger sanft mit »buhh«-Rufen vermittelt, die im Extremfall mit Tomaten und Eiern garniert sind. Das akademische Trommeln auf den Pultdeckeln zur Begrüßung oder als Applaus ist den Amerikanern unbekannt.
    Eine weitere Fußangel für den ahnungslosen Europäer ist die Tatsache, daß Eheringe in den Vereinigten Staaten am linken Ringfinger getragen werden; ganz abgesehen von der weitverbreiteten und durchaus arglosen Gewohnheit, daß verheiratete Männer oft überhaupt keinen Ring tragen. Jedenfalls kann die Feststellung, daß der »wirkliche« Ringfinger des transatlantischen Partners unberingt ist, im Europäer wie im Amerikaner Verwirrung und falsche Hoffnung erwecken. Der Phantasie des Lesers bleibe es schließlich überlassen, sich auszumalen, zu welchen Komplikationen die unter Umständen völlig verschiedenen, aber »selbstverständlichen« Annahmen des Amerikaners beziehungsweise Europäers in der Intimsphäre führen können. 
    Fühlen Sie sich aber nicht persönlich beleidigt, wenn jemand in Ihrer Gegenwart seelenruhig eine Nagelschere aus der Tasche holt und sich laut knipsend die Nägel zu bearbeiten beginnt. Es handelt sich hierbei um eine in weiten Kreisen gesellschaftlich akzeptable Beschäftigung.
    Wie Sie bereits im Fernsehen festgestellt haben dürften, ist es in Amerika ebenfalls gesellschaftlich durchaus in Ordnung, auch bei feierlichen Anlässen beide Hände in den Hosentaschen zu vergraben und nur beim Händeschütteln die rechte notwendigerweise kurz herauszunehmen. Männer entledigen sich ihrer Jacken bei der ersten Gelegenheit – zum Beispiel bevor sie im Flugzeug Platz nehmen (auch wenn es noch recht kühl in der Kabine ist) und manchmal sogar im Restaurant. 
    Auch das Verhalten des Amerikaners dem Tageslicht und der frischen Luft (soweit erhältlich) gegenüber wird Ihnen wundersam erscheinen. Aus unerfindlichen Gründen bleiben Vorhänge und Jalousien mindestens halb, wenn nicht ganz geschlossen. Da es dann aber im Zimmer oder Büro möglicherweise zu dunkel ist, schafft der Amerikaner die für ihn selbstverständlichste Abhilfe: er dreht bei hellem Tage das Licht an. Trotz drohender Energiekrise wird weiterhin schon an mäßig kühlen Tagen wie wild geheizt. Wird es dann zu heiß, so kommt man nicht auf die Idee, die Heizung abzustellen oder gar das Fenster zu öffnen, sondern in seiner Freude am Technischen, am gadget, stellt der Amerikaner – wiederum als für ihn selbstverständlichste Maßnahme – die Klimaanlage an. Das Ganze erinnert einen ein bißchen an die Taktik der amerikanischen Truppen im Zweiten Weltkrieg, wo die jeweils nächste Ortschaft oder Insel auf jeden Fall ausgiebig bombardiert wurde, gleichgültig, ob der Gegner sie noch besetzt hielt oder sich schon längst zurückgezogen
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