Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Gebrauchsanweisung fuer Amerika

Titel: Gebrauchsanweisung fuer Amerika
Autoren: Watzlawick Paul
Vom Netzwerk:
Amerikas«, schrieb der englische Literaturhistoriker Clive S. Lewis 1954 in seinem Werk English Literature in the 16th Century, »war eine der größten Enttäuschungen in der Geschichte Europas«, und umriß damit, was die andere Hälfte der Amerikafahrer erlebt.
    An dieser europäischen Ambivalenz hat sich von der Entdeckung Amerikas bis in unsere Tage herein wenig geändert. Es ist das weitgehend unverschuldete Geschick der USA, von uns Europäern immer wieder in der unterschiedlichsten Art und Weise zum Ideal gemacht und sofort dann verdammt zu werden, wenn es unseren naiven Vorstellungen entweder überhaupt nicht entspricht oder auch nur ganz einfach anders ist, als es laut uns sein sollte. Amerika ist die große Projektion Europas, an der jeder von uns in der einen oder anderen Weise teilnimmt (und auf die – damit es gleich hier gesagt sei – die Amerikaner immer wieder bereitwillig hereinfallen, sei es als Moralprediger, als Utopisten à la Präsident Wilson oder Präsident Roosevelt, deren Kur schlimmer als die Krankheit ist, oder als Weltpolizisten); eine Projektion, die absurderweise gerade bei jenen Europäern am heftigsten und maßlosesten auszufallen pflegt, die die USA noch nie betreten haben.
    Menschliche Konflikte sind eben wechselseitig. Die wirklich folgenschweren Fehlperspektiven, die das Zusammenleben der Nationen in irrationalster Weise vergiften können, sind ihrem Wesen nach von stereotyper Ähnlichkeit, werden aber immer »den anderen« angelastet. Ein Buch wie das vorliegende ließe sich genausogut aus amerikanischer Sicht über die Europäer schreiben: Die Franzosen sind undankbar, grundsätzlich antiamerikanisch und denken hauptsächlich an  l’amour . [1] Die Schweizer sind peinlich sauber, produzieren Schokolade und Kuckucksuhren und sind auf diese einfache Weise zu den berüch tigten Gnomen von Zürich geworden (der Ausdruck wurde allerdings meines Wissens von Londoner Bankiers geprägt). Jeder mir bekannte Witz über die Einfältigkeit und Langsamkeit der Friesen oder der Berner kursiert in den Staaten als Vignette »typisch polnischer« Eigenschaften. Wenn man als Österreicher weder Walzer tanzen noch Ski fahren kann, macht einen dies in amerikanischer Sicht geradezu seines Bürgerrechts verlustig. Die Italiener sind charmant, befassen sich mit der Herstellung von Pizza, Pasta und Panettone und kneifen Touristinnen selbst dann in den Popo, wenn sie mit Mafia-Aufträgen unterwegs sind. (Ungezwickt aus Italien zurückzukommen ist für so manche Amerikanerin ein traumatischer Beweis mangelnden Sex-Appeals.) Überhaupt nimmt man von Italienern, Spaniern und Lateinamerikanern an, daß sie alle Valentinos (Latin Lovers) sind; eine Erwartung, die schon manchem Latino zum Verhängnis wurde, da die Amerikanerin, die sexuell freier ist als ihre lateinischen Schwestern, sich nicht nur schmachtende Blicke, sondern überdurchschnittliche konkrete Leistungen erwartet. Aber auch das Gegenteil kann ihm passieren, nämlich daß er eben diese viel freiere Haltung der Amerikanerin als unerblümte Einladung mißversteht. Und der Deutsche? Seine »typischen« Eigenschaften sind in ein weitreichendes Prisma aufgespalten: Der nicht mehr ganz so zuverlässige, aber immer noch wichtigste Nato-Verbündete; der Phoenix, dem immer noch die Asche der neueren Vergangenheit anhaftet und der schon wieder marschiert; eine Nation, deren fast beunruhigende Produktivität und – wenn auch etwas angeschlagene – Prosperität den puritanischen Beweis des Wohlwollens Gottes erbringt, es gleichzeitig den Deutschen aber zur »Pflicht« macht, die Berg- und Talfahrten des Dollars zu finanzieren; der andere, an dem man viel Eigenes entdeckt und dem gegenüber man daher besonders kritisch oder unkritisch ist, und so manches mehr. Aber wie auch in anderen zwischenmenschlichen Situationen bleibt das Grundschema der Projektion dasselbe: Je weniger man vom andern weiß, desto überzeugter ist man, ihn zu kennen. Und nun, bevor Sie sich anschnallen, Ihre Sitzlehne hochstellen und das Flugzeug zur Landung ansetzt, noch rasch ein Hinweis: Wo immer im folgenden von Amerika die Rede ist, sind damit die Vereinigten Staaten (und nicht auch Kanada und Lateinamerika) gemeint.
     

Ankunft
    Der moderne Luftverkehr macht es schwierig, sich des Augenblicks bewußt zu werden, da man endlich den Fuß auf fremden Boden setzt. Das Flugzeug ist plötzlich Teil des Flughafengebäudes, die langen Korridore erweitern sich, und treppauf oder
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher