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Gebrauchsanleitung für Weihnachten

Gebrauchsanleitung für Weihnachten

Titel: Gebrauchsanleitung für Weihnachten
Autoren: Daniel Glattauer
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Tannenbaum
    Inhalt: Eine in diesem Ausmaß beispiellose Huldigung einer Baumgattung, eine Serie von Komplimenten an die Tanne: Ihre (irrtümlich als Blätter ausgewiesenen) Nadeln seien der Inbegriff der Treue und unverwüstlich in ihrer grünen Farbe. Zu Weihnachten hätten alle ihre helle Freude an ihr. Zudem gebe sie aufgrund ihrer Beständigkeit Mut und Kraft zu jeder Zeit.
    Knifflige Textpassagen: Die zweite Textzeile »Wie treu sind deine Blätter« wird in manchen Haushalten zu »Wie grün sind deine Blätter«. Bitte vorher einigen, ob »grün« oder »treu«.
    Melodie: geht sofort ins Ohr und oft Monate lang nicht mehr aus diesem heraus.
    Schlüsselpassagen: jedes der zahlreichen »O Tannenbaum«, vor allem das erste. Hier schießen viele Gesangsinterpreten dramaturgisch übers Ziel hinaus und wähnen sich in der furiosen Eröffnung von Beethovens fünfter Symphonie.

Es ist ein Ros’ entsprungen
    Inhalt: In diesem um 1500 entstandenen Lied, zu dem sich bisher noch niemand bekannt hat, wird auf geschickt verklausulierte Weise und in blumiger Sprache sehr viel von Maria verlangt. Sie soll ein Kind gebären und dennoch »reine Magd«(also Jungfrau) bleiben. In einem modifizierten evangelischen Text darf Maria vor dem Gebären des Kindes ihre Jungfräulichkeit ausnahmsweise verlieren.
    Knifflige Textpassagen: Die größten Probleme macht noch immer das Wort »Ros’«. Früher betrachtete man den Text eher landwirtschaftlich. Ros’ war ein Ross, ein entsprungenes Pferd, was sonst? Vegetarier verweigerten diese derbe Interpretation und ersetzten »Ros« durch »Reis«. Schließlich setzte sich aber doch die Rose durch. Sehr schräg für Kinder: »Aus Jesse kam die Art«. Darunter kann man sich wenig vorstellen. Am besten gar nicht viel darüber nachdenken.
    Melodie: schön, melancholisch, wenig Höhen und Tiefen, ein bisschen einschläfernd. Tipp: Nicht damit enden, zum Beispiel »O Tannenbaum« nachlegen.
    S chlüsselpassagen: Die Kombination aus dubiosemInhalt, schwierigem Text und trauriger Melodie funktioniert nur eine Strophe lang. Vielleicht eine Lalala-Nanana-Strophe anschließen. Noch besser: Mit dem Vers »Wohl zu der halben Nacht« aufhören.

Die beliebtesten Weihnachtskrisen
und die besten Anlässe für Streit
    Wer zu Weihnachten nicht streitet, versäumt die beste Zeit dafür. In allen Ecken und Nischen eines Weihnachtshaushaltes lauern Anlässe. Viele der Haushaltsmitglieder sind bereits seit Mitte Advent »mit den Nerven fertig«, was den Vorteil hat, dass sie zu Weihnachten keine mehr haben und somit nervenfrei zum ersten Streit antreten können. Das Epizentrum der potentiellen Streitausbrüche liegt in der Kernfamilie (Mutter, Vater, Kind) oder in der Populärfamilie (Exfrau, Baby aus soeben beendeterLebensabschnittspartnerschaft, Exmann, gemeinsamer Rauhaardackel, neue Freundin, deren Tochter und ihr Freund, ein Piercingstudio-Betreiber mit viel Eigenwerbung im Gesicht). Um die Streitkultur zu bereichern und variantenreicher zu gestalten, empfiehlt es sich aber, auch Personen außerhalb des engsten Familienkreises mit einzubeziehen, die man jenseits der Feierlichkeiten nur selten zu Gesicht bekommt. Man denke etwa an die zugeheiratete, aber inzwischen erfolgreich verwitwete Großtante väterlicherseits, deren Erbschaftsverhältnisse noch nicht geklärt sind.

    Wer mit dem jeweiligen Streit beginnt, ist egal. Es gibt ohnehin immer ein Wort das andere, bis man sein eigenes nicht mehr versteht. Auf Schuldgefühle kann von Anfang an verzichtet werden, denn jede der Weihnachtsstreitparteienist prinzipiell im Recht. Kurze Verschnaufpausen sind ideale Gelegenheiten für herzzerreißende Versöhnungsszenen – zum Beispiel vor der Bescherung oder vor dem Weihnachtsmahl. Dabei können sich die Teilnehmer mental kräftigen, um den Streit mit doppelter (Laut-)Stärke wieder aufzunehmen – zum Beispiel nach der Bescherung oder nach dem Weihnachtsmahl.

    Wer im Überangebot widriger Weihnachtsumstände nicht weiß, mit wem und worüber er zuerst streiten soll oder wem es schlichtweg an Konfliktpotential mangelt, dem sei eine längerfristige Weihnachtskrise anzuraten. Folgende Weihnachtskrisen gelten als seriös und haben sich über Generationen hinweg bewährt und weiterentwickelt:

Die Vorweihnachtskrise
    Sie beginnt frühestens am ersten kühlen Sommertag und endet spätestens am Heiligen Abend. Der Betroffene leidet chronisch darunter, immerzu an Weihnachten denken zu müssen. Oft ist dieser Gedanke
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