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GB84: Roman (German Edition)

GB84: Roman (German Edition)

Titel: GB84: Roman (German Edition)
Autoren: David Peace
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Dunkelheit. Unter der Erde – Kein Licht. Kein Ausweg – Nur ich. Hier
– Hier auf dem Fußboden .

ZWEIUNDFÜNFZIGSTE WOCHE
    Montag, 25. Februar – Sonntag, 3. März 1985
    Terry Winters saß am Küchentisch seines Hauses in einem Vorort von Sheffield. Seine drei Kinder zankten sich mal wieder. Seine Frau machte sich Sorgen. Terry kümmerte sich nicht um sie. Im Frühstücksfernsehen kamen Bilder von der gestrigen Demonstration am Trafalgar Square. Von den letzten Demonstrationen der letzten Stunden. Die Polizei gab die Zahl der Teilnehmer mit weniger als 15.000 an. Hundert Verhaftungen, mehrere Hundert Niedergeknüppelte. Die Gewerkschaft erklärte, es habe sich um 80.000 bis 100.000 Demonstranten gehandelt.
Zahlen, Zahlen, Zahlen
. Terry kümmerte sich nicht darum. Er zog eine Karteikarte aus der rechten Jackentasche, las sie, schloss die Augen –
    Die Karte war leer
.
    Terry schlug die Augen auf. Seine Kinder waren in die Schule gegangen, seine Frau in die Arbeit. Er sah wieder auf die Karteikarte und schob die Hand erneut in die rechte Jackentasche. Er zog eine Karte heraus, noch eine und noch eine –
    Alle leer
.
    Terry fuhr zur Arbeit. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und starrte den ganzen Tag auf den Teletext:
    4.000 Bergleute zur Arbeit zurückgekehrt. Höchste jemals ermittelte Zahl an einem Montag. Noch weitere 2.000, und das NCB hat die magischen 50 Prozent erreicht. Der Gewerkschaftsbezirk Nottinghamshire hat das Überstundenverbot aufgehoben. 10.000 Tonnen Kohle mehr pro Woche für die Regierungsreserven
.
    Terry schaltete um und wartete auf die nächsten Meldungen.
    Der Präsident und Dick auf den Stufen des Congress House, lange Mäntel, lange Gesichter. »Wenn die Geschichte sich dieses Streiks annehmen wird«, ruft der Präsident, »dann wird sie ein himmelschreiendes Defizit erkennen – die Tatsache, dass die gesamte Bewegung dabeistand und zusah, wie unsere Gewerkschaft Prügel einsteckte.«
    Terry schaltete den Fernseher aus und wartete darauf, dass das Telefon klingelte.
    Neil Fontaine lässt den Juden zurück zwischen all den Korken und leeren Flaschen, Partyhüten und Luftschlangen, Trophäen und Beutestücken, Siegern und Gewinnern –
    Es fehlen nur noch sechshundert Mann

    Neil nimmt ein Taxi zum Special Services Club.
    Jerry raucht seine Zigarre zu Ende, schiebt den Aschenbecher beiseite und beugt sich vor –
    »Es gibt einen Preis«, sagt er.
    Neil nickt nur ein einziges Mal: »Ich weiß.«
    Jerry hebt die Serviette hoch und schiebt einen Umschlag über die Tischdecke –
    Einen dünnen braunen Umschlag
.
    Neil Fontaine ergreift ihn und steht auf.
    »Die Liebe«, sagt Jerry, »die Liebe wird dich immer enttäuschen. War schon immer so, wird auch immer so bleiben.«
    Neil nimmt ein Taxi zurück nach Bloomsbury. Er läuft Richtung Euston, betritt die Kirche St. Pancras, setzt sich, senkt den Kopf und betet –
    Ein letztes Gebet.
    Mardy, die letzte der Zechen im Rhondda Valley, bekannt als Klein Moskau, hatte dafür gestimmt, geordnet zur Arbeit zurückzukehren –
    Der letzte Walzer hatte begonnen

    »Meine Sorge gilt nun der Streikfront«, sagte Paul. »Jetzt ist nicht die Zeit, die Köpfe hängen zu lassen oder geschlagen zur Arbeit zurückzukehren. Es ist die Zeit, um Reihen zu schließen und unsere Mitglieder zu drängen, standhaft zu bleiben und uns in dieser schwierigen Phase zu stützen. Uns über diese letzte Hürde zu bringen …«
    Niemand nickte, niemand hörte zu

    »Es gibt keine Aussichten auf Sieg mehr«, sagte Gareth Thomas aus South Wales. »Nicht die Art von Sieg, die wir uns im März letzten Jahres vorgestellt haben. Wir müssen sicherstellen, dass wir nicht die Loyalität missbrauchen, die uns von Tausenden von Bergleuten im ganzen Land entgegengebracht worden ist. Und diese Loyalität verlangt Führung. Führung! Sonst wird es bald keine Gewerkschaft mehr geben, die geführt werden muss!«
    Die Führung traf sich.
Erneut
. Sieben Stunden lang debattierte das Exekutivkomitee.
Erneut

    Das Komitee war gewillt, die von der NACODS präsentierte Übereinkunft zu unterschreiben –
    Die Führung wollte diese Übereinkunft unbedingt übernehmen –
    Unterzeichnen. Heute noch. Auf der Stelle –
    Das Komitee rief im Hobart House an.
Klick-klick
. Man versuchte es später noch mal –
    Wieder und wieder und wieder rief das Komitee im Hobart House an –
    Klick-Klick
. Doch niemand hob ab –
    Klick-klick
. Es gab keinen Grund mehr dafür.
Klick-klick
.
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