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Gassen der Nacht

Gassen der Nacht

Titel: Gassen der Nacht
Autoren: Jason Dark
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Schädeldecke wegsprengen.
    War das die Hölle? Hatte sie sich auf diese furchtbare Art und Weise gezeigt? Wollte ihn der Teufel auslachen, sich über ihn, den Menschen, lustig machen?
    Walt Temple wußte nicht mehr, was er denken sollte. Er traute sich nicht, in den Spiegel zu schauen. Er wollte es einfach nicht sehen, aber da war der Zwang, der ihn dazu drängte, den Kopf anzuheben und wieder auf die Stelle zu starren, wo sich sein Gesicht - nein, das des Fremden - abzeichnen mußte.
    Es war eine Fratze, so bleich wie das Abbild des Todes. Das Spiegelbild einer Leiche.
    Und doch war es ihm nicht fremd. So sehr ihn die Furcht in den Klauen hielt, allmählich ordneten sich seine Gedanken, und er sah die Dinge klarer.
    Da war etwas, das sich nicht wegdiskutieren ließ. Etwas Bekanntes, auch wenn er es nicht wahrhaben wollte.
    Das Gesicht kannte er.
    So fremd war es ihm nicht. Die Gedanken schossen wie Blitze durch seinen Kopf. Er wußte Bescheid!
    Das Gesicht der Gestalt war mit dem identisch, das sich von der Umrandung auf der oberen Spiegelhälfte abhob.
    Nein, es gab keinen Unterschied.
    In diesem Augenblick wußte Walt Temple, daß ihn das Böse in den Klauen hielt. All seine Bemühungen hatten nicht gefruchtet, sein Sinnen und Trachten nach Sicherheit waren nicht mehr als Schläge ins Wasser gewesen. Er war der Verlierer, er hatte den kürzeren gezogen, und dieses Wissen war einfach schlimm.
    Er senkte den Kopf. Er stand zwar mit den Füßen fest auf dem Boden, dennoch fühlten sich seine Beine an wie Gummibäume, die immer weiter nachgaben.
    Glücklicherweise stand der Schrank in der Nähe. Dort konnte er sich abstützen. Es war zu spät, alles war zu spät. Er hätte es sich früher überlegen sollen, doch das Böse hatte es geschafft, sich bei ihm einzunisten.
    Es würde sich nicht mehr verdrängen lassen. Er hatte verloren - verloren.
    Wild schüttelte er den Kopf. Walt spürte das Brennen in seinen Augen. Feuerzungen schienen seine Augäpfel nach vorn zu schieben, in seiner Kehle spürte er ein würgendes Gefühl. Es lag dort wie ein kalter, kleberiger Schwamm.
    Temple schaute hoch.
    Auch die Gestalt im Spiegel machte diese Bewegung mit. Für ihn lief alles so schrecklich und unbegreifbar parallel ab, aber es war trotzdem anders.
    Gefahr!
    Und diesmal verdammt direkt. Unmittelbar vor ihm genau aus dem Spiegel.
    Temples Augen nahmen einen glasigen Ausdruck an.
    Die Furcht wollte seine Seele sprengen, der Spiegel erweiterte sich und veränderte sich gleichzeitig zu einem Tunnel.
    Weit und tief drang er ein in die Unendlichkeit.
    Ruckartig breitete Walt Temple die Arme aus. Fremde Kräfte zerrten an ihm, aber in der Spiegelfläche zeichnete sich noch etwas anderes ab. Es war nur das Gesicht.
    Halb Mensch, halb Wolf. Abermals mit geöffnetem Maul, als wollte es Walt davon überzeugen, daß all seine schützenden Banner vergebens gewesen waren. Das Böse fand immer seinen Weg, wenn jemand sich einmal auf seine Seite gestellt hatte.
    Und jetzt holte es seinen Diener zurück.
    Schrecklich bleich war das Gesicht des Händlers geworden, und gleichzeitig hatte es einen bläulichen Schimmer angenommen. Auch Walt hielt den Mund offen.
    Schaurig sah sein Spiegelbild aus, und es nahm an Schaurigkeit noch zu, als aus seinem linken Nasenloch ein dünner Faden von etwas Sirupartigem und Rotem hervorsickerte.
    Blut…
    Nur der Anfang, denn plötzlich strömte es aus seinen Poren, aus den Öffnungen, und er spürte eine innerliche fremde Kraft, die er zuvor noch nie erlebt hatte.
    Sie war so schlimm, daß er schrie, ohne es zu merken. Er sah nur das Blut. In einer gewaltigen Woge stürzte er auf die Spiegelfläche zu und schien im Maul der Bestie zu versinken.
    Das sah Walt Temple nicht mehr.
    Er lag bereits tot auf dem Boden.
    Und der Spiegel bewegte sich dabei, als wolle er sich vor Lachen schütteln.
    ***
    »Es tut mir ja leid, Mr. Sinclair, daß ich Sie vor Weihnachten noch so auf Trab gebracht habe, aber ich wußte mir keinen anderen Rat mehr.« Ray Ralston, der Kollege aus Bristol, schaute mich beinahe um Vergebung heischend ah.
    Ich winkte locker ab. »Macht nichts. In unserem Job ist man Kummer gewohnt.«
    Er atmete auf und seufzte zugleich. »Toll, daß Sie es so sehen, Mr. Sinclair.«
    »Sagen Sie John, bitte.«
    »Dann bin ich für Sie Ray.«
    »Gut. Ray.« Ich schaute ihn an. Ralston trug eine dunkle Hornbrille, die im krassen Gegensatz zu seinen blonden Haaren stand. Er hatte einen scharfgeschnittenen Mund und
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