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Gassen der Nacht

Gassen der Nacht

Titel: Gassen der Nacht
Autoren: Jason Dark
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schien. Am Kopfende des Spiegels wanden sich die Ranken, von zwei Seiten herkommend, nach unten und vereinigten sich dann am Grund einer flachen Mulde oder Schale wieder.
    Bewußt war für einen bestimmten Gegenstand Platz gelassen worden. Denn aus dem Grund wuchs etwas hervor, das aus der Ferne betrachtet wie ein Klumpen aussah.
    Erst beim näheren Hinsehen stellte der Betrachter fest, daß es ein Kopf war.
    Allerdings kein menschlicher, sondern der eines Tieres, das wiederum stimmte auch nicht ganz, denn als eindeutig tierisch konnte der Kopf auch nicht bezeichnet werden.
    Es war mehr ein Mittelding zwischen Mensch und Tier. Eine Kreuzung aus Bestie und Mann.
    Etwas Wolfshaftes zeichnete den Kopf aus. Eine dicke, klumpige Nase, dünnes Fell auf der Stirn und im Gesicht. Nur angedeutet, aber ein Mensch mit viel Phantasie konnte das schon erkennen. Das Maul stand halboffen. Als wollte dieser Kopf gerade etwas sagen, um beim ersten Wort in eine Starre zu verfallen. Die Zähne der oberen Reihe wuchsen unregelmäßig, und die Augen glotzten wie starre Holzkugeln.
    Dennoch hatten sie etwas an sich, das Temple einen Schauer über den Rücken jagte.
    Das Gesicht und die Augen waren für ihn das Zentrum des Grauens. Der böse Blick, das Böse an sich, von hier strahlte es ab, um sich in der Gegend auszubreiten.
    Dann schlich es durch die Gassen und ließ sich weder von Mauern noch von Türen aufhalten.
    »Nicht mehr lange!« keuchte Walt Temple. »Nicht mehr lange wirst du dein Grauen ausatmen können. Ich werde dich hier herausschaffen und brutal zerschmettern. Du sollst in unzählige Einzelteile zerfallen, du sollst…« Fast hätte er gegen den Spiegel getreten, im letzten Augenblick zog er seinen Fuß wieder zurück.
    Er mußte seine Wut in Grenzen halten, er mußte sich beherrschen und eiskalt vorgehen.
    Walt Temple brauchte die Arme nicht einmal ganz auszubreiten, um beide Seiten des Spiegels umfassen zu können. Er hielt sie leicht angewinkelt, umklammerte die Ränder.
    So blieb er stehen.
    Seine Vorderseite berührte die Spiegelfläche. Noch einmal Luft holen. In Gedanken zahlen. Eins - zwei - drei… Anheben und… Er schrie auf. Er war mehr ein Ächzen, aber auch eine Reaktion der kalten Wut. Trotz der eingesetzten Kraft hatte er nicht geschafft, was er wollte. Der Spiegel hatte sich nicht um einen Millimeter bewegt!
    Walt Temple hielt ihn noch immer fest. Er konnte es nicht glauben. Er war in den letzten Wochen auf keinen Fall schwächer geworden. Irgend etwas stimmte da nicht.
    Noch einmal.
    Wieder setzte er seine ganze Kraft ein. Er feuerte sich selbst mit einem Schrei an. Jetzt mußte es klappen. Er versuchte, den Spiegel zu kanten. Das gelang ebenfalls nicht.
    Der Spiegel rührte sich nicht vom Fleck. Er war schwer wie Eisen oder noch schwerer.
    Temple trat zurück. Er beugte sich nach vorn und keuchte heftig. Aus der Tasche holte er ein gemustertes Tuch und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
    Er ließ es langsam über sein Gesicht nach unten gleiten. Erst allmählich lagen die Augen wieder frei, so daß er auf den Spiegel schauen konnte. Er stand noch immer so, wie er ihn vorhin angefaßt hatte. Um keinen Millimeter war er verrückt. Er war auch nicht leicht gekantet, er stand einfach da.
    Walt Temple brauchte einen Schnaps. Er mußte jetzt einen Schluck haben. Zwei Flaschen Brandy hatte er im Weichholzschrank versteckt. Sie waren durch das Schieben umgekippt und bis in eine Ecke gerollt. Die erste Flasche, nach der er griff, war mit Gin gefüllt. Er entkorkte sie und schüttete das Zeug wie Wasser in sich hinein. Betrunken wurde er davon nicht, denn er gehörte zu den Leuten, die einen Stiefel vertragen konnten. Er stieß auf, wischte sich über die Lippen und stellte die Flasche ab.
    »Du verfluchter Spiegel!« keuchte er das Machwerk an. »Du bist ein Stück aus der Hölle. Man hat dich mir angedreht, aber ich werde dich hier wegschaffen.« Bei jedem Worte stieß er zuckend mit dem Zeigefinger gegen die Fläche. »Und wenn ich es nicht allein schaffe, werde ich eben Hilfe holen.« Er nickte sich selbst im Spiegel zu. Aber zuvor wollte er es noch einmal probieren.
    Er schüttelte seine Arme aus, um die Verkrampfung loszuwerden. Sein Gesicht zeigte einen verzerrten und gleichzeitig verbissenen Ausdruck. Seine Augen hatten einen düsteren Glanz bekommen. Er stieß den Kopf vor wie ein Catcher, der seinen Gegner mit einem letzten Angriff auf die Matte werfen wollte.
    Dann trat er vor.
    Höchstens zwei
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