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Gargantua Und Pantagruel

Gargantua Und Pantagruel

Titel: Gargantua Und Pantagruel
Autoren: Francois Rabelais
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Kommentar zu verstehen. Rabelais' Gelehrsamkeit will ernst genommen sein. Sie ist nicht, wie etwa das romantische Rittertum des Don Quichotte, sich selbst ein Gegenstand überlegener Ironie. Trotz der Angriffe auf Pseudo-Wissen und Pro-forma-Bildung, trotz der Versuche, die Zwangsjacke der Scholastik zu sprengen, hat Rabelais seine eigene scholastische Erziehung so wenig verleugnen wie verwinden können. Es ist übereilt, aus ihm einen Pionier der Neuzeit zu machen, ihn als den ersten großen Realisten zu feiern oder ihn gar für sozialistische Ideologien in Anspruch zu nehmen. Rabelais hat noch an einem großen Packen kritiklos übernommenen Bildungsballastes zu schleppen. Wie schwer ihn diese Last drückte, mag man an der Grobheit seiner Ausfälle ablesen.
    Rabelais' Zweideutigkeit ist die Zweideutigkeit seiner Zeit. Diese Zeit läßt sich nicht in eine Formel bringen. Die französische Renaissance im 16. Jh. ist Bewegung, Gärung, nicht Ruhe im Zustand. Die Vergangenheit ist noch nicht überwunden, und die Gegenwart, unendlich bereichert durch die Entdeckung der Alten und der Neuen Welt, ist noch nicht verarbeitet. Die Wissenschaft gerät in Widersprüche, resultierend aus dem Bemühen, die Entdeckungen mit der Überlieferung in Einklang zu bringen. Das ganze Leben jener Zeit, deren Friedensjahre man an den Fingern abzählen kann, macht den Eindruck eines riesigen Bauplatzes: Neubauten schießen aus dem Boden, baufällige Ruinen brechen zusammen, andere, solidere Bauten werden gestützt und ausgebessert. Geistesgeschichtlich ist dies der Prozeß der reifenden Autonomie des Individuums. Die Emanzipation des Geistes, die man als das entscheidende Kriterium der Neuzeit ansieht, beginnt im späten Mittelalter und verwirklicht sich zum erstenmal in Shakespeare. Rabelais liegt in der Mitte – nicht zeitlich, aber entwicklungsmäßig. Aus seinen Büchern spürt man eine der stärksten Regungen des Neuen im Schoß des Alten, des autonomen Geistes in der mittelalterlichen Geborgenheit. Ob man die Neuzeit mit ihm beginnen läßt oder schon mit ihren verborgenen Ansätzen im Spätmittelalter oder erst mit dem Auftreten Shakespeares, ist lediglich eine Frage der Größenordnung, für das Ereignis selbst aber ohne Belang.
    Diese ungeordnete Zeit spiegelt sich wider in den Schicksalen der Menschen, die in ihr lebten. Das 16. Jh. kennt wenige Persönlichkeiten, deren Leben in klaren, geordneten Bahnen verlaufen wäre. Vieles an ihnen erscheint uns heute ungereimt. Etienne Dolet, später gefeiert als ›Märtyrer der Renaissance‹, verschrieb sich gestern dem Geist der Reformation, verfaßte heute ein Gedicht zu Ehren der heiligen Jungfrau, machte sich morgen über die Wallfahrten lustig und endigte schließlich auf dem Scheiterhaufen. Clément Marot, Dichter am Hofe Franz I., saß unter der Anklage, während der Fastenzeit Speck gegessen zu haben, im Gefängnis und schrieb dort einige seiner geistvollsten Gedichte. Das Leben François Rabelais' war nicht weniger bunt und abenteuerlich. »Wundersames Leben und unerhörte Taten des Meisters Rabelais, Franziskaner, Benediktiner und abtrünniger Mönch, fahrender Scholast, Doktor der Medizin und Dichter, Humanist, Weltbürger, Evangelist und Pfarrgeistlicher« – nicht lang und barock genug könnte ein solcher Titel über seiner Lebenschronik sein. Tatsächlich weiß man über seine Person nicht allzu viel. Manches liegt im Dunkel, verbirgt sich hinter der Vielfalt der Erscheinungen. Anderes ist Legende oder unsichere Anekdotenüberlieferung, zu der gerade Rabelais ideale Anlässe bietet. Trotzdem bleibt eine Fülle von Tatsachen. Nur in groben Umrissen kann an dieser Stelle auf das Wichtigste eingegangen werden.
    François Rabelais (geb. wahrscheinlich 1494) stammt aus Chinon in der Touraine, dem ›Garten Frankreichs‹, der von Ronsard über Descartes zu Balzac so viele große Genies hervorgebracht hat. Über seine Jugend weiß man am wenigsten. Vermutlich wurde er in einem Franziskanerkloster bei Angers erzogen und dort für den Priesterberuf vorbereitet. Die scholastische Philosophie und Theologie des Duns Scotus, in die er damals eingeweiht wurde – nicht nach dem Urtext, sondern nach den Schriften der Kommentatoren –, hat er später nicht genug verspotten können. Mit dem Jahr 1521 beginnt in dem Franziskanerkloster Fontenay-le-Comte in Poitou Rabelais' Mönchsleben, das fünfzehn Jahre dauern sollte. Für seine Bildung und Formung waren es die entscheidendsten.
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