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Ganz normal verpickelt (German Edition)

Ganz normal verpickelt (German Edition)

Titel: Ganz normal verpickelt (German Edition)
Autoren: Karin Reddemann
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hätte mir zwei, drei Wodka-Lemon mehr im Hirn (wenig Lemon, bitte!) auf jeden Fall liebend gern noch gegönnt, ohne mir diesen aufgesetzt blasierten Gesichtsausdruck von Hermann-Josef Wurstgesicht antun zu müssen. Mir war nicht nach ihm. Nach Böwis Weltschmerz auch nicht. Herrgott, kann man nicht einfach nur Spaß haben? Konnte man wohl nicht.
    Böwi sah mich traurig an. Ergreifend traurig für einen vierzigjährigen schwulen Zahnarzt, der die Westdeutsche Allgemeine Zeitung wegen der Peanuts abonniert hat und aufwendig bestickte Tangas trägt, obwohl sein dicker Bauch ihm eh nur soeben noch einen Blick auf seine gelben Zehennägel erlaubt. Na ja, Pete war ja auch noch da, um die Slips zu bewundern. (Dachte ich.) Die gute Tante Pete (für Böwis Sohn Stephan, so was hat der auch). Böwi sah mich also an. Erschüttert irgendwie. Mir wurde ganz anders. Dann sagte er mit dieser tiefen dumpfen Stimme, die nun wirklich überhaupt nicht zu ihm passt, weil er halt nun mal tatsächlich so aussieht, als würde er mehr zum Schrillen (heiteitei, kein Witz jetzt) tendieren: „Jochen, lass doch einfach mal die platten Sprüche, ja?!“ Er hielt sein dickbauchiges Glas fest mit beiden Händen umklammert, schaute völlig frustriert hinein (logisch, bis auf ein hellrosa Minipfützchen war es leer) und nickte Conny, der lieblos gepiercten Kellnerin, wortlos zu. Die Verhunzte lieferte nach und nuschelte irgendwas, was keiner verstehen konnte, weil da in ihrer Zunge und sonst wo unappetitliche Fremdkörper steckten. Böwi nahm einen tapferen Schluck und räusperte sich affig. Dann (Jesus, ein Drama!): „Pete ist ausgezogen.“
    Für mich, so als Mann, der keine Erfahrung damit hat, von einem Kerl sitzen gelassen zu werden (zehn Ave Maria, dass das auch nie passieren wird!), war das ein recht ergreifender Moment. Für Wurstgesicht, und das irritierte mich kurzfristig, wohl nicht unbedingt. Der schien sichtlich unzufrieden. (Köstlich verwirrend, das Ganze!) „Das war jetzt echt unpassend, Ulrich, so leid mir das tut für dich. Jetzt grad ging’s um Jochen, und was der hier abzieht, ist ja wohl wirklich unterste Schublade. Mein’ ich.“
    Peinliches Päuslein.
    Ich gönnte uns ein putziges Hüsteln. „Wieso Pete? Was ist mit dem?“
    Böwi schenkte mir augenblicklich ein devotes Lächeln, kniff dann (das galt dem hohlen Choleriker neben mir) finster seine Knopfäuglein zusammen, mehr Aggressionspotential war nicht drin (Schwein gehabt, Wurstgesicht!) „Weg. Ausgezogen. Hab ich doch gesagt. Aber das scheint ja wohl nicht so wichtig zu sein.“
    Wurstgesicht wirkte jetzt doch etwas verlegen, brachte mangels Intellekts natürlich nichts Wertvolleres heraus als: „Hach, ja ja, sicher. Mein Gott, natürlich ist das wichtig.“
    „Was denn nun?“ Das war ich. Ich bring die Dinge gern auf den Punkt. „Was ist denn nun mit deinem Pete? Himmel.“ Insgeheim amüsierte ich mich bereits königlich. Ich ging von einer mordsmäßig guten Geschichte aus. Ergreifend. Und saukomisch. Seitdem Böwi mir von seinem bescheuerten Outing erzählt hatte (natürlich im Suff, ganzes Programm, mit Geflenne und so weiter), sah ich ihn mit anderen Augen. Fast ehrfurchtsvoll.
    Hätte Böwi mir davon nicht erzählt, wäre mir übrigens niemals so denkwürdig brutal bewusst geworden, dass ich selbst keine Geschichte habe, in der meine Eltern so richtig schön mies wegkommen. Herzlichen Dank, Mama und Papa, dass ihr solche Langweiler ward. Wurstgesicht hat auch eine, völlig unspektakulär natürlich, was sonst?!, und Böwi, wie ich bereits bemerkte, hat diese wirklich nette. Und ich verlorene Seele mit meiner bekloppten unbeschwerten Jugend darf wohl meinen alten Herrschaften mit Schmackes in den Allerwertesten treten, weil sie mir nichts zum Weitertratschen und Ablästern geboten haben. Nichts tiefenpsychologisch Analysierbares auf jeden Fall. Sich an so was zu erinnern oder zumindest davon zu erfahren macht ja normalerweise sofort wieder stocknüchtern. Betroffen wohl auch irgendwie. Mich aber nicht.
    Dieses bescheuerte Gespräch (Keine Sorge, ich bin noch nicht fertig damit!) liegt jetzt schon ein paar Takte zurück, beschäftigt mich aber immer noch. Wieso hatte ich Wurstgesicht nicht einfach irgendwas Faszinierendes aus meinem Leben so aus dem Handgelenk um die Ohren geknallt? Irgendein lausiges Kindheitstrauma? Warum nicht Opa Pitter, der mich als viereinhalbjährige Leiche gemalt hat? Auf meinen ausdrücklichen Wunsch hin. Oder Nicole Schlüter,
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