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Ganz normal verpickelt (German Edition)

Ganz normal verpickelt (German Edition)

Titel: Ganz normal verpickelt (German Edition)
Autoren: Karin Reddemann
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die uns in der Hinterhofgarage des alten Kuchlalski alle ran ließ für ein paar Zigaretten, die ich meinem Vater geklaut hatte, weil ich mit neun noch nicht geraucht hab? Diese Schlampe hat mein Frauenbild versaut, das wäre doch was gewesen. Ich hätte auch von unserem Sofa erzählen können, unter dem ich bäuchlings lag, um mir einen runterzuholen. Ohne zu wissen, was ich da eigentlich treibe. Ich war noch nicht mal eingeschult.
    Selbst über ganz banale Pickel hätte ich Stoff zur möglichen Analyse liefern können. Ich erinnere mich jetzt wieder sehr gern mit prickelndem Ekel daran, dass ich in der Blüte meiner Haut meine quengelnde Mutter mit ihren spitzen Fingernägeln die „Reifen“ ausquetschen ließ, wenn sie Gelegenheit hatte, mich schamhaft Pubertierenden zu sezieren. Vielleicht hätte ich noch einen regelmäßigen Ständer (Hatte ich NICHT!) hinzufügen sollen, um zum Nachdenken anzuregen. Von wegen: Normal! Hüte dich, Wurstgesicht. Was dich betrifft, Böwi: Gott sei mit dir. Nicht normal zu sein ist wohl auch nicht immer so ergötzlich.
    Mein Freund Ulrich Terbowen ist schwer kurzsichtig und trägt eine dicke Hornbrille mit lila-grün gesprenkeltem Rahmen. Er sieht mit seinen 40 Jahren wie ein ganz besonders braver dicker kleiner Hosenscheißer aus, so richtig was zum Knuddeln und Liebhaben, aber das ist nur der äußere Schein. Ich sage das jetzt bewusst ernst, weil Ulrich Terbowen tatsächlich eine tragische Figur ist.
    Offensichtlich nicht nur für mich. Auch für den super-hyper-sensiblen (ich kotz gleich!) Hermann-Josef Wurstgesicht, der in meinem Beisein ergriffen Böwis Hand tätschelte. Eindeutig zu lange, aber das geht mich nichts an. Oder vielleicht doch. Bei H.J., der eh keinen Schlag bei den Frauen hat, war ich immer schon misstrauisch. Scheinschwul aus Not, so was gibt’s ja. Schert mich aber nicht weiter. Während ich also noch auf Böwis Trennungsdrama wartete, gab Hermann-Josef diesen folgenschweren Satz von sich: „Ulli, mein lieber Ulli, lass man, der Jochen zehrt immer noch vom Wappen auf seinen beschissenen Windeln. Und dabei ist er so verflucht normal. So stinknormal, wie du und ich gar nicht sein können.“
    Schlagt mich, aber ich musste lachen. Selten so was Dämliches gehört. Nicht zu vergessen allerdings bei all meinem Spaß an dieser wirklich köstlichen Beschreibung (Windelwappen, gefällt mir, hatte ich übrigens NICHT!): Es war infam. Dr. jur. H.J. Kotterhoff bewegte sich verbal auf höchst gefährlichem Pflaster.
    Derweil Ulli wie wachgeküsst am Tresen hockte und bescheuert grinsend vor sich hinwinselte, ohne auch nur ansatzweise auf Wurstgesichts bedrohliche Lage einzugehen. „Tut trotzdem verdammt gut, das alles mal ausgesprochen zu haben.“ Kurze Pause. Dann, feierlich: „Freunde, die zuhören können, sind viel wert.“ Das galt als dilettantischer Seitenhieb wohl mir. Eindeutig zählte er mich nicht zu den Seligen im Kreis seines Gurus Wurstgesicht, obgleich der ihn so schnöde abgefertigt hatte.
    Böwi schniefte kurz, ein recht zufriedenes Schnäuzen, meine ich so im Nachhinein. Dann traf mich zielsicher ein bemüht vorwurfsvoller Blick aus zusammengekniffenen Augen hinter milchig gelbstichigen Gläsern. Auf so was steh ich, das erklärt mir undefinierbar Leichtes stets aufs Neue. „Na, Jochen, amüsierst du dich auch gut?“
    Einfach lächerlich. Trotzdem, das Ganze hatte was. Fand ich. Es hatte leider auch was Entwürdigendes. Was mich betrifft. Weil ich jetzt gezwungen war, völlig seriös Stellung zu nehmen. Ich hatte aber leider diesen verfluchten Lachkrampf, und während ich verzweifelt bemüht war, Böwi davon zu überzeugen, dass zumindest vorrangig nicht er es war, der mich belustigte, geierte ich mich hin bis zu einem mittelschweren Erstickungsanfall.
    H.J. räusperte sich. Väterlich. Echt ein Riesenarsch. „Mensch, Jochen, jetzt reiß dich mal zusammen.“
    Böwi, um tausend Jahre gealtert, winkte müde ab. Schauspieler, elender. „Lass mal, Hermann-Josef, der kann gar nicht anders.“
    „Mein Reden.“ Das war Wurstgesicht. „Herr von Wickertsmühle ist mit heiklen Situationen einfach überfordert.“ (ÜBERFORDERT! Ich wundere mich jetzt noch, dass Wurstgesicht diesen Abend ohne physische Verluste überstanden hat!)
    Ich kriegte mich dann tatsächlich wieder ein. Und entschuldigte mich erst einmal bei Böwi, das hätte meine Mutter so jetzt auch auf jeden Fall von mir erwartet. „Sorry, Ulli, das ging nicht gegen dich. Ich nehm dich
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