Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Galgenweg

Galgenweg

Titel: Galgenweg
Autoren: Brian McGilloway
Vom Netzwerk:
schussbereit in der Hand. Doch sie wurde nicht benötigt. Bardwell saß allein im Andachtsraum auf einem von zwölf in einem Kreis angeordneten Stühlen. Plakate zu den Themen Versöhnung und Wiedergeburt wellten sich an den Wänden, darunter eine größere Ausgabe des Blättchens, das Jamie Kerr in Lifford verteilt hatte.
    Bardwell saß in sich zusammengesunken auf seinem Stuhl; die Arme ruhten auf den Knien, die Hände hingen zwischen seinen Beinen herab. Er trug immer noch einen Mantel, der, wie ich sogar von meinem Standort aus sehen konnte, blutbefleckt war. Auf dem Stuhl neben ihm lag das Messer. Er blickte zu mir hoch, und einige zottige schwarze Strähnen hingen ihm ins Gesicht; seine Wangen waren eingefallen und stoppelig. Seine Haut war fahl, die Augen stumpf, die Schultern hingen herab.
    »Darf ich hereinkommen, Reverend?«, fragte ich. Ich glaubte zwar eigentlich nicht, dass er eine Bedrohung für mich darstellte, doch neben ihm lag immer noch ein Messer mit einer fünfundzwanzig Zentimeter langen Klinge.
    Er reagierte nicht, daher trat ich vorsichtig ins Zimmer, zwängte mich zwischen zwei Stühlen hindurch und setzte mich in seine Nähe; vier Stühle waren zwischen uns. Ich war froh, dass Jim Hendry an der Tür stehen blieb, vielleicht weil er spürte, dass ich allein größere Aussichten hätte, Bardwell zum friedlichen Mitkommen zu bewegen. Ebenso froh war ich jedoch darüber, Hendry mit einer Schusswaffe in meiner Nähe zu wissen.
    »Ich habe mich schon gefragt, wie lange es dauern würde«, sagte Bardwell schließlich, doch er hob den Blick nicht, sondern starrte weiter auf eine Stelle zwischen seinen Füßen. »Ich bin froh, dass Sie es sind.«
    »Ich wünschte, ich könnte dasselbe sagen, Reverend«, erwiderte ich. »Aber ganz im Gegenteil.«
    Er nickte einmal, und die Haare fielen ihm in die Augen.
    »War es wegen Jamie?« Ich rutschte einen Stuhl näher an ihn heran.
    Erneut nickte er.
    »Wir hatten ihn deswegen dran, Reverend, und den Mann, der das angeordnet hatte, möglicherweise auch. Alle; alle, die Jamie hereingelegt hatten. Wir hätten alle Namen gehabt.«
    »Und was hätte das gebracht?«, fragte Bardwell, und als er mich endlich ansah, blitzten seine Augen vor Zorn. »Damit er auf ›verminderte Zurechnungsfähigkeit‹ plädiert? Das war doch die Formulierung.«
    »Möglicherweise wäre er damit gar nicht durchgekommen«, entgegnete ich matt.
    »Natürlich wäre er damit durchgekommen«, fuhr Bardwell mich an. »Das kümmert doch niemanden. Alle scheren sich einen Scheißdreck darum.«
    »Das stimmt nicht.« Ich rückte noch ein Stückchen näher, allerdings blieb ich außer Reichweite für den Fall, dass er zum Messer greifen sollte.
    »Ich bin gestern Nacht da hingegangen und habe ihm die Kehle durchgeschnitten. Und ich habe hingehört. Ich bin hierher zurückgekommen und habe die ganze Nacht hier gesessen. ›Und Gott sagt immer noch kein Wort.‹« Er schnaubte verächtlich.
    »Vielleicht hat er etwas gesagt, Reverend«, wandte ich leise ein. »Vielleicht haben Sie seine Stimme nur nicht gehört.«
    Bardwell sah mich verständnislos an, als ob der Gedanke ihm völlig neu wäre.
    »Jamie hat seine Stimme gehört, Inspector. Und sehen Sie nur, was sie mit ihm gemacht haben. Sehen Sie nur, was der Herr zugelassen hat.«
    » Wir haben das zugelassen, Reverend – wir . Nicht Gott. Menschen tun so etwas. Es liegt an uns Übrigen, dafür zu sorgen, dass es nie wieder geschieht.«
    »Sind Sie ein gläubiger Mensch, Inspector?«, fragte Bardwell.
    »Das muss ich sein, Reverend. Ich muss daran glauben, dass das, was ich tue, die Welt irgendwie besser macht.«
    »Sie kämpfen also auf Seiten der Guten«, sagte er und lachte freudlos.
    Ich rückte noch einen Stuhl näher an ihn heran und streckte die Hand aus. »Kommen Sie jetzt mit uns, Reverend. Wir kümmern uns um Sie.«
    Er legte die Hand auf den Messergriff neben sich, und ich versteifte mich. Zugleich nahm ich aus dem Augenwinkel wahr, dass Jim Hendry seine Waffe hob.
    Bardwell blickte auf seine blutverschmierte Hand neben sich auf dem Stuhl, als begriffe er erst jetzt, in welcher Lage er sich befand.
    »Wirkt ein bisschen ironisch, nicht wahr?«, sagte er. »Ein Bulle, der einen Geistlichen über Glauben und Gerechtigkeit belehrt. Vergeben Sie denen, die gegen Sie gesündigt haben, Ben?«
    »Ganz ehrlich?«, fragte ich zurück. »Ich versuche es. Aber ich bin auch nur ein Mensch. Wir sind alle nur Menschen. Vielleicht können wir nicht
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher