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Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller

Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller

Titel: Galgenfrist fuer einen Toten - Der 1 DOUGLAS BRODIE Thriller
Autoren: Gordon Ferris
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einwerfen.«
    Ich hörte das Scheppern und Rasseln von Münzen. Es waren mehrere, mindestens im Wert von einem Shilling, also musste es sich um ein Ferngespräch handeln. Meine Mutter, die das Telefon ihrer Nachbarin benutzte? Ein Unfall? Schlechte Nachrichten kamen häufig früh am Morgen. Doch es meldete sich eine männliche Stimme mit schottischem Akzent. Genauer gesagt: mit westschottischem Akzent, der mir in Erinnerung rief, wie ich früher selbst mal gesprochen hatte.
    »Bist du das, Dougie Boy?«
    Mir lief es eiskalt den Nacken hinunter. Mittlerweile nannte mich niemand mehr Dougie. Schon seit zehn Jahren hieß ich überall nur Brodie. Die Stimme kratzte an meinen Erinnerungen, aber ich konnte ihr kein Gesicht zuordnen. Wollte es nicht. Mein Verstand wollte sich mit der offensichtlichen Ähnlichkeit nicht anfreunden. Denn diese Stimme stammte aus der Zeit der Pfeil-und-Bogen-Spiele, der ausgedrückten Pickel und tuschelnden Mädchen. Als Faustkämpfe mit blutigen Lippen und pochender Wut geendet hatten. Und aus der Zeit eines ungeheuren Verrats, der noch immer an mir nagte.
    »Wer ist dran? Um was geht’s?« Um mich abzustützen, presste ich die Handfläche gegen die Wand und spürte, wie der kühle Verputz ihr jegliche Wärme entzog.
    »Das ist die große Frage«, erwiderte die Stimme.
    Ich kramte in meinen Erinnerungen. Klangfarbe und Rhythmus der Stimme waren schwerer und langsamer als früher, aber dennoch auf verstörende Weise vertraut. Ich wusste, wer am Apparat war, aber glaubte es nicht, konnte es nicht glauben. Wie sollte es möglich sein, dass er es war?
    »Machen wir’s nicht komplizierter, als es ist. Wer ... sind ... Sie?«
    »Erzähl mir bloß nicht, dass du das nicht weißt, du Protestantensau«, gab die plötzlich sehr resolut klingende Stimme zurück.
    Jetzt war alles klar. Diese spöttische Begrüßung, typisch für den Westen Schottlands: Ich sah sein Gesicht vor mir, das Gesicht eines kleinen Jungen mit breitem, albernem Grinsen und schwarzen Stirnfransen. Damals hatten wir Soldaten gespielt, die aus den eigenen Schützengräben stürmten, um es mit den Maschinengewehren der Deutschen aufzunehmen. Wetteiferten darum, wer mit der größten Theatralik im Stacheldraht hängen blieb und zum Schein krepierte. Shug Donovan – oder Hugh, als wir anfingen, uns mit Mädchen zu treffen – schlug uns alle. Wenn er zu Boden stürzte, drehte er eine melodramatische Rolle vorwärts, gab laute Schmerzensschreie von sich und schlug mit den Armen wild um sich. Er wuchs zu einem hoch aufgeschossenen, gut aussehenden Jungen heran und wirkte mit seinen schwarzen Haaren und blauen Augen wie der Inbegriff eines keltischen Barden. Die Mädchen liebten ihn und sein unbekümmertes Grinsen, während ich ihn aus denselben Gründen hasste. Ganz besonders wegen dieses einen Mädchens, das sich in ihn verknallt hatte.
    Ich hatte ihn nicht mehr gesehen, seit ich 1929 aus Kilmarnock fortgegangen war, um an der Glasgow University zu studieren. Im Laufe der Jahre hatte meine Mutter mir hin und wieder seltsame Geschichten über ihn erzählt, obwohl sie wusste, dass es mich störte, wenn sie ihn auch nur erwähnte. Zu der Zeit, als ich mich in der Polizei von Glasgow hocharbeitete, machte er sich als Küfergeselle bei Johnnie Walker’s einen Namen. 1939 trat ich bei den Seaforth Highlanders in die Armee ein, obwohl ich selbst aus dem Tiefland stammte. Aber in diesem Regiment hatte schon mein Vater gedient. Donovan landete irgendwann als Heckenschütze bei der Bomberstaffel der Royal Air Force. Eine todsichere Methode, um wirklich ums Leben zu kommen – und so kam es vermeintlich auch.
    1943 schrieb mir meine Mutter, Hugh Donovan sei in seinem Flieger bei der Bombardierung Dresdens in den Flammen umgekommen. Mein erster rüder Gedanke war: Geschieht dir ganz recht, du Arschloch. Gleich darauf schoss mir wegen meines schlechten Gewissens die Röte ins Gesicht, was mich dazu veranlasste, Donovans Mutter in einem Brief mein Beileid auszusprechen. Aber die Schuldgefühle dieses Moments wollten nicht verschwinden.
    »Shug? Bist du das?«
    »Klar doch, Dougie.«
    »Aber wie zum Teufel kann das sein? Ich dachte, du wärst tot!« Meine kippende Stimme hallte im leeren Flur wider.
    »Das dachte ich auch, Kumpel. Genau wie du.«
    »Wie wunderbar, dass du überlebt hast, einfach fantastisch!« Nun konnte ich das mulmige Gefühl, wenn ich an Shug und unsere letzten Begegnungen dachte, ein für alle Mal begraben und eine neue Seite
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