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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman
Autoren: Meinrad Braun
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der ihn dort empfing, fiel ihm einmal mehr die schier endlose Aufeinanderfolge von schmalen, ja erdrückend engen Räumen auf.
    Viviën schob dieses plötzliche Gefühl der Beklemmung beiseite, rieb sich die kalten Hände und durcheilte das Labyrinth aus Fluren und Treppen. Er hatte den dringenden Wunsch, sich niederzulegen, an nichts mehr zu denken, doch als er zu seiner Zelle gelangte, zuckte er jäh zusammen. In der Tür steckte ein kreuzförmiger Dolch. An seinem bronzenen Griff hing ein zusammengerolltes schmales Pergament. Der Mönch starrte es, von einer furchtbaren Vorahnung ergriffen, einen Moment lang an, bis er sich ein Herz fasste und las. Die Botschaft war kurz und schrecklich:
    Viviën de Narbonne,
    der Schwarzen Kunst für schuldig befunden.
    So lautet das Urteil
    des Geheimtribunals der Heiligen Vehme.
    Orden der Freirichter.
    Vor Angst benommen, sank Viviën auf die Knie. Die Heilige Vehme? Die Erleuchteten? Wie hatten sie ihn in dieser Zuflucht hoch in den Alpen aufgestöbert? Nach jahrelanger Flucht hatte er geglaubt, er hätte all seine Spuren verwischt und wäre nun in Sicherheit. Doch nein. Sie hatten ihn gefunden!
    Dennoch durfte er sich jetzt nicht der Verzweiflung überlassen. Wieder einmal musste er fliehen.
    Mit zitternden Beinen erhob er sich, riss hastig die Tür zu seiner Zelle auf, raffte achtlos ein paar Habseligkeiten zusammen und warf sich im Laufen seinen schweren Umhang über die Schultern. Auf dem Weg zum Stall kam es ihm so vor, als würden sich die in den Fels gehauenen Flure verengen und seine klaustrophobische Angst noch schüren.
    Beim Verlassen des Dormitoriums spürte er, dass sich die Luft weiter abgekühlt hatte. Der Wind trieb mit lautem Heulen die Wolken vor sich her und ließ die kahlen Zweige der Bäume hin- und herpeitschen. Seine Mitbrüder verweilten noch in der Klosterkirche, eingehüllt in die geheiligte Wärme des Hauptschiffs.
    Viviën zog seinen Umhang enger und betrat die Stallungen. Er sattelte ein Pferd, stieg auf und durchritt im Trab den Innenhof von San Michele. Dicke, nasse Schneeflocken legten sich schwer auf seine Schultern und durchdrangen den Wollstoff seines Umhangs. Doch nicht die Kälte ließ ihn frösteln, sondern seine Gedanken. Er war darauf gefasst, jeden Augenblick in einen Hinterhalt zu geraten.
    Als er den Durchgang in der Umfriedungsmauer fast erreicht hatte, kam ihm ein Mönch entgegen, die Kapuze seiner Kutte tief ins Gesicht gezogen. Er schlug sie zurück und enthüllte einen langen rabenschwarzen Vollbart und zwei erstaunte Augen. Es war Pater Geraldo da Pinerolo, der Cellerar des Klosters.
    »Wo willst du hin, Bruder?«, fragte er. »Kehr lieber um, bevor das Unwetter losbricht.«
    Viviën erwiderte nichts und ritt weiter dem Ausgang entgegen, innerlich betete er, dass es noch rechtzeitig genug für eine Flucht war … Doch am Tor erwartete ihn schon ein Karren, der von zwei Pferden, so dunkel wie die Nacht, gezogen wurde. Auf dem Bock saß ein einzelner Mann, ein Abgesandter des Todes. Viviën ritt scheinbar unbekümmert an ihm vorbei, das Gesicht unter der Kapuze verborgen und sorgfältig darauf bedacht, nicht dem Blick des Kutschers zu begegnen.
    Geraldo hingegen, der Viviën hinterhergeblickt hatte, näherte sich dem Fremden und musterte ihn genau: Der Mann war hochgewachsen und kräftig, er trug einen großen Hut und einen schwarzen Umhang. Auf den ersten Blick hatte er nichts Auffälliges an sich, doch als Geraldo ihm ins Gesicht sah, konnte er seinen Blick nicht von ihm lösen: Es war blutrot, und die Lippen darin waren zu einem teuflischen Grinsen verzerrt.
    »Satan!«, stieß der Kellermeister aus und wich entsetzt zurück.
    Inzwischen hatte Viviën seinem Pferd die Sporen gegeben und preschte im Galopp den Abhang hinunter auf das Susatal zu. Er musste so schnell wie möglich von hier verschwinden, doch der mit Schlamm vermischte Schnee machte den Pfad unwegsam und zwang ihn zur Vorsicht.
    Nun erkannte der unheimliche Kutscher den Fliehenden, wütend trieb er seine Pferde an und machte sich mit seinem Wagen an die Verfolgung.
    »Bleibt stehen, Viviën de Narbonne!«, schrie er. »Ihr könnt Euch nicht auf ewig vor der Heiligen Vehme verbergen!«
    Viviën drehte sich nicht einmal um, während in seinem Kopf tausend Gedanken durcheinanderwirbelten. Hinter sich hörte er die Räder des Karrens, der immer näher kam. Er hatte ihn beinahe erreicht! Wie konnte er auf einem so gefährlichen Pfad nur so schnell fahren? Das waren
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