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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman
Autoren: Meinrad Braun
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keine Pferde, sondern Dämonen geradewegs aus der Hölle!
    Die Worte seines Verfolgers ließen keinen Zweifel daran, dass es sich um einen Abgesandten der Freirichter handelte. Die Erleuchteten wollten das Buch! Und sie würden alles dafür tun, um es in ihren Besitz zu bringen. Sie würden ihn foltern, bis er vor Schmerz wahnsinnig würde, allein um das Wissen zu erlangen und zu lernen, wie man aus der Weisheit der Engel schöpfen konnte. Dann besser sterben!
    Mit Tränen in den Augen packte er die Zügel fester und trieb den Zelter an. Dabei geriet das Pferd zu nahe an den Rand des Abhangs, und das vom Schneeregen aufgeweichte Erdreich gab unter seinem Gewicht nach.
    Das Tier rutschte ab und Viviën mit ihm, gemeinsam stürzten sie die Bergflanke hinab. Die Schreie des Mönchs während des Sturzes vermischten sich mit dem entsetzten Wiehern des Pferdes und hallten lange nach, bis sie sich im Heulen des Sturms verloren.
    Der Karren hielt an. Der unheimliche Kutscher stieg vom Bock und suchte mit Blicken die Schlucht ab. Nun gibt es nur noch einen Menschen, der davon weiß, nämlich Ignazio da Toledo, dachte er. Wir müssen ihn finden.
    Er legte die rechte Hand an sein Gesicht und berührte etwas, das zu kalt und zu hart war für ein menschliches Antlitz. Beinahe widerwillig presste er die Finger auf seine Wangen und nahm die rote Maske ab, die sein wahres Gesicht verbarg.

ERSTER TEIL
    DAS KLOSTER DER LÜGEN
    »Von ihnen hörte ich alle Dinge und verstand, was ich sah; das, was geschehen wird nicht in diesem Geschlecht, sondern in einem Geschlecht, welches kommen wird in ferner Zeit, um der Auserwählten willen.«
    Das Buch Henoch, I , 2
     
     

1
    Niemand wusste mit Sicherheit zu sagen, wer Ignazio da Toledo wirklich war. Manche hielten ihn für weise und gebildet, andere für heimtückisch und den Schwarzen Künsten ergeben. Für viele war er jedoch schlicht ein Pilger, der auf der Suche nach Reliquien, die er den Gläubigen und den Mächtigen verkaufen konnte, von einem Land ins andere umherzog.
    Obwohl er es vermied, seine Herkunft zu enthüllen, sprachen doch seine maurischen Gesichtszüge, die allerdings durch eine helle Hautfarbe gemildert wurden, zu offensichtlich dafür, dass er von den Christen abstammte, die in Spanien in engem Kontakt mit den Arabern gelebt hatten. Sein kahl rasierter Schädel und der dunkelgraue Bart ließen ihn wie einen Gelehrten aussehen, aber vor allem seine Augen fielen auf: Sie waren smaragdgrün, eindringlich und von scharfen Falten umrahmt. Die graue Tunika unter dem Kapuzenumhang verströmte den Wohlgeruch orientalischer Stoffe, die des langen Transports wegen mit Düften besprüht wurden. Groß und schlank von Gestalt, stützte er sich beim Gehen auf einen Pilgerstab.
    Das also war Ignazio da Toledo, und so sah ihn der junge Uberto das erste Mal, als sich am regnerischen Abend des 10.   Mai 1218 das Eingangsportal der Klosterkirche Santa Maria del Mare öffnete und eine hochgewachsene Gestalt mit tief in die Stirn gezogener Kapuze eintrat, gefolgt von einem blonden Mann, der eine große Truhe hinter sich herschleifte.
    Abt Rainerio da San Donnino, der gerade die Vesperlitanei beendet hatte, erkannte den Fremden unter der Kapuze sofort und ging ihm entgegen.
    »Meister Ignazio, wie lange ist es her!«, rief er freundlich und bahnte sich durch die Scharen von Mönchen seinen Weg zu ihm. »Ich habe die Nachricht von Eurem Besuch erhalten und bereits ungeduldig auf Eure Ankunft gewartet.«
    »Ehrwürdiger Rainerio«, sagte Ignazio und verneigte sich leicht. »Da verlasse ich Euch als einfachen Mönch und finde Euch nun als Abt wieder.«
    Rainerio war ebenso groß wie der Händler aus Toledo, jedoch kräftiger gebaut. Das Auffälligste an seinem Gesicht war die markante Adlernase. Seine kastanienbraunen Locken fielen ihm wirr in die Stirn. Bevor er Ignazio antwortete, senkte er den Blick und schlug ein Kreuz.
    »Das war der Wille des Herrn. Maynulfo da Silvacandida, unser voriger Abt, ist im vergangenen Jahr von uns gegangen. Ein schwerer Verlust für unsere Gemeinschaft.«
    Bei dieser Nachricht stieß der Händler einen bitteren Seufzer aus. Er glaubte nicht an die Legenden über das Leben der Heiligen und zweifelte an den wundertätigen Eigenschaften der Reliquien, die er oft aus fernen Ländern mitbrachte. Doch Maynulfo war wirklich ein Heiliger gewesen. Nicht einmal nachdem er zum Abt ernannt worden war, hatte er auf sein Eremitenleben verzichtet. Regelmäßig zog er sich
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