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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman
Autoren: Meinrad Braun
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war mein Abgang gewesen. Nicht dass sie unrecht gehabt hätte. Aber ich war nur ehrlich gewesen. Ich dachte, ehrlich zu sein wäre ein Geschenk für unsere Beziehung, ich hatte in Ehrlichkeit einen Wert gesehen. Einen Wert, den Lea auch hätte schätzen können. Werte können sich ja wandeln. Aber das tat sie nicht, sie schätzte meine Ehrlichkeit nicht im Geringsten. Nun hatte ich sie ständig im Ohr. Ich verließ den Kurfürstendamm und suchte eine Gegend auf, die besser zu meiner Barschaft passte. Als ich im Kaufhof eine Hose anprobierte, meinte die Verkäuferin:
    »Die können Sie prima tragen. Sie sind ja sehr schlank. Vielleicht einen Sakko dazu, der die Schultern etwas breiter macht?«
    Ich schaute die Verkäuferin an. Sie war groß und blond. Lea in meinem Kopf sagte: »Du siehst bescheuert darin aus. Wie ein verkrachter Biologiestudent.«
    Ich kaufte die Hose nicht. Im nächsten Geschäft ertappte ich mich wieder dabei, Sachen auszusuchen, die Lea gefallen hätten, aber ich fand nichts, was sie akzeptiert hätte. Ich beschloss, am anderen Ende anzufangen, bei den Schuhen. Vorher rief ich Wessing an, mit meinem inzwischen wieder aufgeladenen Handy. Er hatte schließlich gesagt, auf die Schuhe komme es an. Außerdem wollte ich mich vergewissern, ob alles noch wahr wäre. Die ganze Geschichte mit Afrika, dem Job, Gabun. Ich hatte plötzlich das Gefühl, es wäre nur eine große Blase, die platzen könnte, wenn ich daran rührte.
    Lea. Sie saß noch immer in meinem Kopf. Zuständig für das Platzenlassen von Blasen.
    »Gustav? Ich bin’s, Bernd. Wie war das noch mit den Schuhen? Wie sollten die aussehen, so ›Business‹, oder wie?«
    Wessings Stimme drang blechern aus dem Handy, vom Lärm des Schrottplatzes umgeben, vermutlich wuchtete der Bagger hinter ihm gerade schwere Teile in den Container. Es rumste ein paarmal, ehe er antworten konnte. Business, das wäre in Ordnung, meinte er.
    »Sag der Verkäuferin, du möchtest sie fürs Büro.«
    »Und du bist sicher, ich brauche nichts weiter als nur Klamotten? Keine besonderen Sachen, tropentaugliche Hemden, Sonnenöl mit Schutzfaktor hundert?«
    Wessing lachte in das Geräusch des hinunterfallenden Schrotts hinein.
    »Keine Sorge. Eine Zahnbürste, wenn es dich beruhigt. Wir rüsten dich dort vollständig aus.«
    Das half. Nach dem Anruf bei Wessing trat Lea in meinem Bewusstsein einen Schritt zurück, und ich kaufte ein Paar bieder aussehende Lloyds-Schuhe, rahmengenäht, zum Sonderpreis. Anschließend noch zwei leichte Baumwollhosen und zwei Hemden, ohne dass Lea etwas dagegen einwandte.
    Anschließend ging ich in den Zoo. Vielleicht um mich einzustimmen, ich tat es, ohne nachzudenken. In Krisen, und so musste man diese Situation wohl nennen, misstraute ich aus leidvoller Erfahrung meinem logischen Denken. Mein Gehirn verspulte sich sonst in Grübelschleifen, ich kam vom einen zum anderen, aber zu keinem Entschluss. Vielleicht eine Neigung zur Dissoziation aufgrund einer traumatischen Kindheit unter der Fuchtel meiner streitsüchtigen Eltern. Wie oft hatte ich als Kind meinen Turnbeutel oder meine Schulbrote vergessen. Eine meiner späteren Vermeidungsstrategien als Student war die Beschäftigung mit philosophischen Texten gewesen, die ich mir aus dem Internet zusammensuchte, wobei ich wechselnden Erkenntnissen ausgesetzt war. Der rote Faden bei dieser Suche war nicht irgendeine Systematik gewesen, sondern mein Bedürfnis, das eine durch das andere in Frage zu stellen, bei Philosophie ging das am besten. Es machte mich zufrieden, dass nichts im Denken Bestand zu haben schien, dass es sich am Ende um eine Reise in den Nebel handelte, bei der man nur entscheiden konnte, irgendwo für eine Weile innezuhalten. Eine Umkehr war nicht möglich. Selbst wenn man versuchte, im Kreis zu gehen. Irgendwo hatte ich gelesen, vielleicht bei Wittgenstein, dass Logik ständig der Gefahr unterliege, sich selbst zu erklären, und ich fand das in meinem eigenen Denken auf faszinierende Weise bestätigt. Nicht zu viel nachdenken über das Denken.
    Ich ging ins Tropenhaus, vielleicht tat ich es, um mir die Temperatur und die Luftfeuchtigkeit in Afrika vorstellen zu können, oder vielleicht, weil ich mich an die freundlichen japanischen Kois in der Eingangshalle erinnerte, die sich von jedem streicheln ließen und einem dabei die Finger abküssten. Das Becken war leider leer, die Kois nicht mehr da. Vielleicht hatten respektlose Zeitgenossen die Tiere mitgenommen und verspeist,
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