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Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman
Autoren: Meinrad Braun
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noch das Geld, und die armen Tiere – die könnten doch wirklich nichts dafür. Das reichte mir. Ich hob meine Trennscheibe hoch zum Zeichen, dass ich das Gespräch beenden müsse. Die alte Dame verabschiedete sich mit den Worten, ich hätte es gut, ich dürfe noch arbeiten.
    Ich verdrückte mich hinter einen der nächsten Schrotthaufen, setzte mich auf einen Eisenträger, weit weg von irgendwelchen Kühlschränken mit oder ohne Inhalt, aß meine drei Schokoriegel auf und wartete auf den Feierabend. Über Wessings Vorschlag hatte ich bisher kaum nachgedacht. Ich hatte eigentlich vorgehabt, mein Studium wieder aufzunehmen, meinem Doktorvater zu erzählen, dass ich eine kreative Pause eingeschoben hätte, und meine Eltern anzupumpen oder an der Uni einen Aushilfsjob zu ergattern. Gabun, sagte jemand in mir. Afrika. Ein Wildpark. Die unbekannte Stimme machte eine Pause und ließ sich danach noch einmal hören: Fünfzigtausend, sagte die Stimme. Dollar oder Euro?, fragte da noch eine Stimme, ich glaube, eine weibliche, sie klang nach Lea. Ich war nachdenklich.
    Nach einer Weile erschien hinter einem umgekippten Küchenherd eine Ratte, richtete sich auf den Hinterbeinen auf und musterte mich gründlich. Sie bestätigte die allgemeine Auffassung, dass Ratten klug seien, indem sie mich als harmlos einstufte, dann lief sie ein paar Meter entfernt an mir vorbei, ohne sich weiter um mich zu kümmern. Ich wusste, dass Gift auslag, damit die Ratten in Schach gehalten wurden, hatte aber noch nie eine tote Ratte herumliegen sehen. Wahrscheinlich fraßen die Ratten das Gift nicht. Und – warum sollte es auf einem Schrottplatz eigentlich keine Ratten geben? Wo, wenn nicht hier?
    Beim abendlichen Bier riet mir Wessing, umgehend bei Klemm zu kündigen. Er werde in Gabun anfragen, ob man schon am Samstag fliegen könne. Das war in drei Tagen.
    »Hast du denn auch gekündigt?«
    Nicht notwendig, meinte Wessing leichthin, seine Beschäftigung bei Klemm basiere auf Vertrauen. Seine Mimik verschloss, was unter »Vertrauen« zu verstehen wäre, unter einem Bermudadreieck aus Quer- und Längsfalten, und ich verzichtete auf eine Nachfrage. Später fragte ich mich, was Lea getan hätte, wenn sie in meiner Lage gewesen wäre. Jedenfalls hätte sie »Vertrauen« nicht gelten lassen, das hatte ich am eigenen Leib erfahren müssen.
    Wir saßen wie immer auf der Mauer vor dem Büro. Wessing beugte sich zu mir herüber, bedachte mich mit einem Blick und zupfte dazu am Ärmel meines verschwitzten T-Shirts.
    »Hast du einen Satz ordentliche Klamotten, Bernd? Nur für den ersten Tag. Wenn wir aus dem Flieger kommen, sollten wir respektabel aussehen, also wie Leute, die geschäftlich ins Land kommen. Versteh mich nicht falsch«, er ließ meinen Ärmel wieder los, »es wird keine Probleme mit der Einreise geben. Die Kollegen holen uns am Flughafen ab, wir steigen in ein Auto, das schon auf uns wartet, und fahren ins Hotel. Aber wir müssen einen Besuch machen.«
    »Was für einen Besuch?«
    »Im Ministerium. Ich stelle dich vor.«
    »Im Ministerium? Das ist jetzt ein Witz, oder?«
    Wessing runzelte die Stirn, als denke er nicht über meine Frage nach, sondern als überlege er etwas anderes.
    »Kein Witz«, sagte er. »In Afrika gehen solche Sachen nur im persönlichen Kontakt. Du musst dort aufkreuzen, deinen Diener machen, Hände schütteln. Dafür solltest du seriös aussehen, die Leute dort schätzen das.«
    Er zog den Bauch ein, um seinen Gürtel zu entlasten, nahm das Portemonnaie aus der Hüfttasche seiner fleckigen Jeans und zählte zehn Fünfzig-Euro-Scheine ab. Reichte mir das Geld. Ich nahm den kleinen Stapel automatisch an.
    »Vorschuss«, sagte Wessing. »Für den Fall, dass du gerade knapp bist. Wenn du was zum Anziehen kaufst, denk an die Schuhe. Die Schuhe sind am wichtigsten, die müssen teuer aussehen.«
    »Ich muss mich noch impfen lassen«, fiel mir ein. »Und was ist mit einem Visum?«
    »Brauchst du alles nicht. Malariatabletten haben wir tütenweise, alle Impfungen, die was nützen, gibt es dort ebenfalls. Serum gegen Schlangenbisse haben wir auch. Wir haben auch einen Arzt, der das Team versorgt, der wird eingeflogen, wenn es nötig ist.«
    »Serum«, wiederholte ich. »Einen Arzt.«
    Es wurde mir zu viel. In meinem Gehirn spulte sich inzwischen ein Film ab, einziger Zuschauer: ich selbst. Der Vorspann lief gerade, er zeigte mir den Satz: »Du willst also wirklich nach Gabun?« Dazu klassische Horrormusik, Beethoven oder Wagner.
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