Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Gabun - Roman

Gabun - Roman

Titel: Gabun - Roman
Autoren: Meinrad Braun
Vom Netzwerk:
und hierherbrächten.
    »Egal was es mal gewesen ist. Wenn das Zeug bei uns durch die Waage gegangen ist, ist es nur noch Schrott«, stellte Wessing fest, »und nach der Schmelze ist es wieder Reinmetall. Nagelneues Eisen, Kupfer oder Alu.«
    Das sagte er mit merklicher Zufriedenheit und unter mehrmaligem Nicken, als habe diese Transformation etwas ihn persönlich Erfüllendes, und meine biblischen Phantasien über Schrottplätze wanderten ins Buddhistische. Wiedergeburt, dachte ich. Aus Nichts wird wieder Etwas. Schön eigentlich, besser als umgekehrt jedenfalls. Seit diesem Vorfall allerdings, fügte Wessing an, öffne man die Türen von Kühlschränken und Gefriertruhen, wenn sie angeliefert würden.
    »Auch wegen der Ratten hier. Kann ja mal ein Hund drinliegen«, meinte Wessing. Er führte eine unterstreichende Kreisbewegung aus, dabei hielt er die Bierflasche vorsichtig senkrecht, um nichts zu verschütten. »Die Leute übernehmen sich oft mit Haustieren«, urteilte er abschließend. Dann wechselte er das Thema.
    »Was hast du eigentlich vorher gemacht, Bernd?«
    Schließlich sei das hier, Wessing umfasste mit einer erneuten Bewegung seiner Flasche den vor uns ausgebreiteten Schrott, ja wohl nicht mein Metier. »Nicht dein Metier«, so drückte er sich aus, er leistete sich ab und zu gehobene Begriffe.
    Ich hätte Biologie studiert, gab ich Auskunft, und während meiner Doktorarbeit sei mir das Geld ausgegangen. Nebenbei hätte ich in einem Hotel in Charlottenburg gearbeitet, am Empfang und als Nachtportier. Was ich ihm nicht erzählte, war, dass ich den Job von Lea bekommen hatte. Von Lea, schwarz wie Ebenholz, weiß wie Schnee. Hotelfachfrau, Assistentin der Geschäftsführung, zielbewusst, entschlusskräftig. Lea, die mir vor zwei Wochen kurz hintereinander zuerst die Jobfrage und dann die Familienfrage gestellt und mir nach dem Ausbleiben einer zielorientierten Antwort auf beide Fragen die Beziehung, die Wohnung und den Job aufgekündigt hatte. Das erzählte ich Wessing nicht. Was ich ihm erzählte, war, dass ich vor Kurzem die Lust an den Wissenschaften verloren und mich dazu entschlossen hätte, mal ein paar Monate zu pausieren. Aber ich erzählte ihm nichts von meinen Nächten im Auto und auch nichts davon, dass ich mich für unfähig hielt, mein Leben zu planen, weil das bis vor zwei Wochen immer jemand anderer für mich getan hatte, und dass es, nachdem meine SMS -Korrespondenz einseitig geblieben war, so aussah, als müsste ich es nun endgültig selber tun. Davon nichts. Vermutlich, dachte ich später, hat Wessing das alles gespürt. Er spürte Schwächen bei anderen mit dem Instinkt des Jägers für geschwächtes Wild.
    Worüber ich meine Doktorarbeit denn gemacht hätte, wollte Wessing wissen, während wir zwischen Schrotthaufen auf der sonnenwarmen Mauer vor dem Büro saßen, das Alina längst abgeschlossen hatte, und den Grillen zuhörten, wie sie in der Wärme des Sommerabends aus allen Winkeln heraus zirpten, als müssten sie etwas Hartes in Scheiben schneiden.
    »Über Insekten«, sagte ich. »Genauer gesagt über staatenbildende Insekten, über Ameisen.«
    Wessing zog die Luft in der Nase hoch, mit einem Geräusch, das mich dazu brachte, zu ihm hinüberzusehen. Er grinste und erwiderte meinen Blick, dann zwinkerte er mir zu. Das war, bemerkte ich, das dritte Mal, dass er mir zuzwinkerte. Bald darauf hörte ich auf, Wessings Zwinkern zu zählen. Es kam öfter, und die Bedeutung dieses Zwinkerns wandelte sich zusehends, das sollte sich aber erst später zeigen. Die Grillen ließen weiter ihre Flügel vibrieren, stimmten ihre Claims im Schrott untereinander ab. Der hochgradig mit Gift und Schwermetallen verseuchte Boden, in den sie ihre Löcher gruben, schien ihnen nichts anzuhaben. Insekten werden uns alle überleben. Sie verdauen jede Art Gift, auch den atomaren GAU werden sie noch überstehen und den Klimawandel sowieso. Die passenden Bewohner für einen gefährdeten Planeten. Ich sah, während die Grillen zirpten, noch immer Wessing an, der nach dem Zwinkern bedeutsam seine Augenbrauen angehoben hatte. Die Querfalten in seinem Gesicht hatten sich im Erstaunen ebenfalls nach oben begeben.
    »Ist irgendwas komisch daran?«, wollte ich wissen.
    Wessing schüttelte den Kopf.
    »Nein. Ameisen, das ist prima«, sagte er.
    »Verstehe ich nicht.«
    »Ich wollte dich sowieso fragen, ob du hier alt werden möchtest.«
    Wessing nickte ein paarmal vor sich hin. Ich fühlte mich ausgeschlossen von solcher
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher