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Funke, Cornelia

Funke, Cornelia

Titel: Funke, Cornelia
Autoren: Rekkless
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hinter sich im Spiegel auftauchen, verzerrt von dem dunklen
Glas. »Wo willst du hin, Jacob'?« Ein
Nachtflug nach Boston, eine Reise nach Europa, es hatte viele Ausreden im Lauf
der Jahre gegeben. Jacob war ein ebenso einfallsreicher Lügner, wie sein Vater
es gewesen war. Doch diesmal hatte seine Hand sich schon auf das kühle Glas
gepresst und natürlich hatte Will es ihm nachgetan.
    Kleiner
Bruder.
    »Er riecht
schon wie sie.«
    Fuchs
löste sich aus den Schatten, die die zerstörten Mauern warfen. Ihr Fell war so
rot, als hätte der Herbst es ihr gefärbt, und am Hinterlauf sah man noch die
Narben, die die Falle hinterlassen hatte. Fünf Jahre war es her, dass Jacob
sie daraus befreit hatte, und seither wich die Füchsin ihm nicht von der
Seite.
    Sie
bewachte seinen Schlaf, warnte ihn vor Gefahren, die seine stumpfen Menschensinne
nicht wahrnahmen, und gab Rat, den man besser befolgte. Ein Fehler.
    Jacob trat
durch den Torbogen, in dessen verbogenen Angeln immer noch die verkohlten Reste
des Schlossportals hingen. Auf der Treppe davor sammelte ein Heinzel Eicheln
von den zersprungenen Stufen. Er huschte hastig davon, als Jacobs Schatten auf
ihn fiel. Spitznasig und rotäugig, in Hosen und Hemden, die sie aus gestohlenen
Menschenkleidern nähten - die Ruine wimmelte von ihnen.
    »Schick
ihn zurück! Deshalb sind wir hergekommen, oder?« Die Ungeduld in Fuchs' Stimme
war nicht zu überhören.
    Aber Jacob
schüttelte den Kopf. »Es war falsch, ihn hierher zu bringen. Es gibt nichts auf
der anderen Seite, das ihm helfen könnte.«
    Jacob
hatte Fuchs von der Welt erzählt, aus der er kam, aber sie wollte nicht
wirklich davon hören. Ihr reichte, was sie wusste: dass es der Ort war, an den
er allzu oft verschwand und mit Erinnerungen zurückkam, die ihm wie Schatten
folgten.
    »Und? Was
glaubst du, was hier mit ihm passieren wird?«
    Fuchs
sprach es nicht aus, doch Jacob wusste, was sie dachte. In dieser Welt
erschlugen Männer ihre eigenen Söhne, sobald sie den Stein in ihrer Haut
entdeckten.
    Er blickte
hinunter auf die roten Dächer, die sich am Fuß des Schlosshügels in der
Dämmerung verloren. In Schwanstein flammten die ersten Lichter auf. Die Stadt
sah von fern aus wie eines der Bilder, die man auf Lebkuchendosen druckte, aber
seit ein paar Jahren durchzogen Eisenbahngleise die Hügel dahinter, und aus
Fabrikschornsteinen stieg grauer Rauch in den Abendhimmel. Die Welt auf der
anderen Seite des Spiegels wollte erwachsen werden. Aber das Steinerne
Fleisch, das seinem Bruder wuchs, hatten nicht mechanische Webstühle oder
andere moderne Errungenschaften gesät, sondern der alte Zauber, der in ihren Hügeln
und Wäldern hauste.
    Ein
Goldrabe landete auf den zersprungenen Fliesen. Jacob scheuchte ihn fort, bevor
er Will einen seiner finsteren Flüche zukrächzen konnte.
    Sein
Bruder stöhnte im Schlaf. Die Menschenhaut machte dem Stein nicht kampflos
Platz und Jacob spürte den Schmerz wie seinen eigenen. Nur aus Liebe zu seinem
Bruder war er immer wieder in die andere Welt zurückgekehrt, auch wenn seine
Besuche von Jahr zu Jahr seltener geworden waren. Ihre Mutter hatte geweint
und ihm mit der Fürsorge gedroht, ohne je zu ahnen, wohin er verschwand, aber
Will hatte ihm die Arme um den Hals geschlungen und gefragt, was er ihm
mitgebracht hatte. Heinzelschuhe, die Mütze eines Däumlings, einen Knopf aus
Elfenglas, ein Stück schuppige Wassermannhaut - Will hatte Jacobs Mitbringsel
unter dem Bett versteckt und die Geschichten, die er ihm dazu erzählte, schon
bald für Märchen gehalten, die er nur für ihn erfand.
    Nun wusste
er, dass sie alle wahr waren.
    Jacob zog
ihm den Mantel über den entstellten Arm. Am Himmel waren schon die zwei Monde
zu sehen.
    »Pass auf
ihn auf, Fuchs.« Er erhob sich. »Ich bin bald zurück.«
    »Wo willst
du hin? Jacob!« Die Füchsin sprang ihm in den Weg. »Es kann ihm niemand mehr
helfen!«
    »Wir
werden sehen.« Er schob sie beiseite. »Sorg dafür, dass Will nicht in den Turm
hinaufgeht.«
    Sie
blickte ihm nach, als er die Treppe hinunterstieg. Die einzigen
Stiefelabdrücke auf den vermoosten Stufen waren seine eigenen. Kein Mensch kam
hierher. Die Ruine galt als verflucht und Jacob hatte schon Dutzende von
Geschichten über ihren Untergang gehört. Aber nach all den Jahren wusste er
immer noch nicht, wer den Spiegel in ihrem Turm hinterlassen hatte. Ebenso
wenig, wie er je herausgefunden hatte, wohin sein Vater verschwunden war.
    Ein Däumling
sprang ihm in den Kragen. Jacob
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