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Fundort Jannowitzbrücke

Fundort Jannowitzbrücke

Titel: Fundort Jannowitzbrücke
Autoren: Stefan Holtkötter
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Frau hätte ihre Mutter sein können, mit den zerzausten grauen Haaren und der unsicheren und etwas hilflosen Art.
    »Ich möchte eine Aussage machen«, sagte die Frau.
    »In welcher Angelegenheit?«
    »Ich möchte meine Tochter vermißt melden.«
    Anna bot ihr einen Platz an, und die Frau setzte sich vorsichtig auf die äußerste Kante der Sitzfläche. Als versuche sie, möglichst wenig Platz einzunehmen.
    »Wie ist denn Ihr Name?« fragte Anna.
    »Bettina.«
    »Nein«, sagte sie freundlich. »Zunächst einmal benötige ich Ihren Namen.«
    »Ach so. Mein Name ist Irmgard Nowack. Ich wohne in der Leipziger. Möchten Sie meinen Personalausweis?«
    Anna trug die Daten in das Formular für Vermißtenanzeigen ein.
    »Seit wann vermissen Sie Ihre Tochter?«
    Irmgard Nowack sah auf den Boden und schwieg einen Moment. Fast schien es, als sei ihr die Frage peinlich.
    »Seit einer Stunde«, sagte sie schließlich. »Bettina wollte um kurz nach elf zu Hause sein.«
    »Ist Ihre Tochter minderjährig?«
    Wieder zögerte sie einen Moment. »Nein. Sie ist achtzehn.«
    Sie sah die Polizistin ängstlich an, als rechnete sie fest damit, ausgelacht zu werden.
    Anna legte das Formular zur Seite. Sie kannte ihre eigene Mutter gut genug, um zu wissen, was sie sagen mußte. »Es ist gut, daß Sie gekommen sind. Die meisten Vermißten werden in den ersten Stunden wiedergefunden. Dann können wir am ehesten etwas unternehmen.«
    Frau Nowack blickte sie skeptisch an. Offenbar fragte sie sich, ob Anna sie ernst nahm.
    »Ich werde Ihnen einige Fragen stellen«, fuhr sie unbeirrt fort. »Dadurch wird unsere Suche erleichtert. Vielleicht finden wir Ihre Tochter ja heute noch. Wohnt sie bei Ihnen?«
    Sie atmete durch. »Ja, Bettina und Olaf wohnen beide noch bei mir. Olaf ist ihr älterer Bruder. Er ist arbeitslos, leider. Daher bin ich froh, daß wenigstens Bettina eine Stelle hat. Sie arbeitet im Burger Point, in dem großen Schnellrestaurant am Alexanderplatz.«
    »Hat Bettina heute abend gearbeitet?«
    »Ja. Normalerweise arbeitet sie ja tagsüber. Doch ein Kollege ist krank geworden, und so ist sie in der Spätschicht eingesprungen.«
    »Und sonst kommt Ihre Tochter nach der Arbeit sofort nach Hause?«
    Frau Nowack starrte einen Moment lang schweigend vor sich hin. Sie atmete durch, konnte die Tränen jedoch nicht zurückhalten. Hastig suchte sie in den Taschen ihrer Windjacke nach einem Taschentuch und trocknete sich die Augen.
    »Frau Nowack«, sagte Anna behutsam. »Vielleicht ist Bettina nur ein bißchen feiern gegangen. Schließlich ist Samstagnacht.«
    Die Frau schüttelte den Kopf und starrte weiter vor sich hin.
    »Sie könnte nach Feierabend mit Kollegen in die Disko gefahren sein«, versuchte sie es weiter. »Und dann hat sie einfach vergessen, bei Ihnen anzurufen.«
    »Ich verstehe das nicht. Sie erzählt mir einfach nichts mehr. Sie hat sich so sehr verändert.« Sie sah hilflos auf. »Bisher hat mir nur ihr Bruder Sorgen bereitet. Wissen Sie, Olaf ist ein lieber Junge, aber er hat einfach die falschen Freunde. Und irgend etwas ist immer. Er hat so viel Unfug im Kopf. Bettina war da anders. Sie hat auch nie etwas mit der Polizei zu tun gehabt. Und sie hat mir immer alles erzählt.«
    »Und das hat sich nun geändert?«
    Irmgard Nowack nickte fast unmerklich. »Sie hat Geheimnisse. Sie kommt und geht, ohne Bescheid zu geben. Es rufen Freunde an, deren Namen ich nicht kenne. Alles ist durcheinandergeraten.«
    Anna lächelte sie an. »Bettina ist jetzt achtzehn. Halten Sie es nicht für möglich, daß sie sich einfach ihre Freiräume schaffen will?«
    »Sie denken, es ist normal, wie sie sich verhält?«
    Anna konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. »Das machen tausend Mädchen in ihrem Alter. Wahrscheinlich weiß sie nicht, daß Sie sich Sorgen machen, oder sie will es nicht wissen. Vielleicht verschweigt sie Ihnen auch, was sie macht, weil sie glaubt, daß Sie sich dann noch größere Sorgen machen, am Ende um nichts.«
    Frau Nowack schien darüber nachzudenken.
    »Und was verschweigen Sie Ihrer Mutter?«
    Anna sah überrascht zu ihr auf.
    »Sie denkt, daß ich nur im Innendienst arbeite. Wenn sie wüßte, daß ich jede Nacht auf Streife bin, das würde sie umbringen. Sie würde kein Auge mehr zumachen.«
    Die Frau sah Anna lange an, dann senkte sie ihren Blick. Schließlich nickte sie und stand auf.
    »Vielleicht ist es besser, wenn ich nach Hause gehe und erst einmal eine Nacht darüber schlafe.«
    »Sie können trotzdem
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