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Fundort Jannowitzbrücke

Fundort Jannowitzbrücke

Titel: Fundort Jannowitzbrücke
Autoren: Stefan Holtkötter
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achtundfünfzig hatte das Telefon geklingelt. Es lag noch immer neben seinem Kopfkissen. Die Einsatzzentrale hatte einen Leichenfund gemeldet. Er hatte Bereitschaft, und die Tat fiel offenbar in die Zuständigkeit der Kommission, der er angehörte. Er hatte nur für einen winzigen Moment die Augen schließen, nur eine letzte Sekunde lang die Wärme und Ruhe des Bettes fühlen wollen.
    Jetzt überschlug sich sein Herz, und er mußte nach Luft ringen. Mit einem Satz sprang er aus dem Bett. Er griff nach den Sachen, die auf dem Boden lagen, schlüpfte auf dem Weg in die Küche hinein und schnappte sich seinen Autoschlüssel vom Tisch.
    Für eine Sekunde fiel sein Blick in den Spiegel an der Tür. Ein blasses Gesicht starrte ihn an, eingefallene Wangen, übermüdete Augen. Achte nicht darauf! sagte er sich schnell. Niemand sieht glücklich aus, wenn er mitten in der Nacht aus dem Bett geklingelt wurde. Mit einem Ruck warf er die Tür hinter sich zu.
    Es war drei Uhr zweiundzwanzig, als Michael Schöne seine Wohnung in der ersten Etage der alten Karlshorster Villa verließ. Er lief zu seinem Golf, der am Rande des verwilderten Gartens geparkt war, und drehte mit einem kurzen Stoßgebet den Zündschlüssel. Und tatsächlich sprang der Wagen an, beim ersten Versuch.
    Michael atmete auf und trat aufs Gas. Zweiundzwanzig Minuten Schlaf, dachte er. Er hätte längst am Leichenfundort sein müssen. Mit erheblichem Tempo bog er in die Treskowallee und fuhr durch die nächtlich leeren Straßen in Richtung Alexanderplatz.
    Er würde alles darum geben, in dieser Nacht keine Leiche sehen zu müssen, dachte er resigniert. Da sie ihn gerufen hatten, war die Leiche vermutlich weiblich. Sie würde von einem Mann ermordet worden sein, der seine Opfer mit einer Wäscheleine erdrosselte und postmortal sexuelle Handlungen an ihnen vornahm.
    Es war bereits einige Zeit her, daß die Einsatzzentrale ihn nachts aus dem Bett geholt hatte. Michael war Mitglied der Sonderkommission »Pankow«, die eingerichtet worden war, um die Morde dieses Mannes aufzuklären, von dem sie nichts weiter hatten als eine DNA-Spur.
    Zwei Frauen waren ihm bereits zum Opfer gefallen, beide wurden im Pankower Schloßpark überfallen und ermordet. Die beiden Taten waren bereits über ein halbes Jahr her. Damals ging die Angst vor einem Serienmörder um, und die Boulevardpresse schuf daraufhin den albernen Namen »Würger von Pankow«, den inzwischen sogar einige Kollegen verwendeten.
    Die zwanzigköpfige Sonderkommission »Pankow« hatte in den darauf folgenden Monaten über zweitausend Spuren verfolgt. Doch sie jagten ein Phantom. Trotz der regen öffentlichen Beteiligung blieben die Ermittlungen stecken.
    Schließlich wurde das Team verkleinert, bis nur noch er und der Kommissionsleiter übrigblieben.
    Michaels Aufgabe war es seitdem, die wenigen Hinweise aus der Bevölkerung, die noch immer bei der Kripo eingingen, zu bearbeiten. Ein trostloser Job, wie er fand, denn die meist völlig haltlosen Hinweise bedeuteten einen enormen Verwaltungsaufwand. Häufig hatte er das Gefühl, daß Spuren einfach erfunden oder Nachbarn denunziert wurden. Einige Male wurden ihm sogar abstruse Verschwörungstheorien präsentiert. Am Ende stand er dann an seinem Bürofenster mit dem Blick über die Stadt und fragte sich, wie viele verwirrte Seelen dort unten leben mochten, den Würger einmal ausgenommen.
    Es war drei Uhr einundvierzig, als er die Spree passierte, unter den S-Bahnbögen der Jannowitzbrücke entlangfuhr und das langgestreckte Parkareal an der Alexanderstraße erreichte. Der Fundort war bereits von weitem zu sehen, ein quirliger und lebendiger Fleck inmitten des düsteren Geländes. Hinter dem Absperrband leuchteten die Strahler vom Erkennungsdienst, die Blitzlichter der Polizeifotografen zuckten. Im unruhigen Widerschein der Blaulichter sah Michael bereits die ersten Beamten des Ermittlungsteams.
    Er wendete den Wagen und fuhr quer über die menschenleere, sechsspurige Alexanderstraße. Die Müdigkeit ließ ihn frösteln. Die Heizung in seinem Golf funktionierte schon seit Monaten nicht mehr. Aus Gewohnheit drehte er wieder am Wärmeregler. Er war viel zu dünn angezogen für diese kalte Märznacht. Schließlich stellte er den Wagen unter einer der wenigen Laternen ab.
    Wolfgang Herzberger, Kommissionsleiter der Soko »Pankow«, stand am Absperrband und entdeckte Michael als erster. Er kam ihm entgegen, die Hände tief in den Taschen seines alten Mantels, die Schultern
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